Der russische Menschenrechtsaktivist Oleg Orlow hat gemeinsam mit ehemaligen politischen Gefangenen westliche Regierungen dazu aufgerufen, bei jedem diplomatischen Engagement mit Russland und Belarus die Freilassung politischer Gefangener zur höchsten Priorität zu machen. Die Repression gegen die eigene Bevölkerung sei die Grundlage für den Krieg gegen die Ukraine, den Wladimir Putin mit Unterstützung Alexander Lukaschenkos begonnen habe, sagte Orlow am Freitag bei einer Pressekonferenz auf dem Köln/Bonner Flughafen. Dort waren er und zwölf andere Menschenrechtsaktivisten und Oppositionspolitiker vor genau einem Jahr nach einem Gefangenenaustausch vom damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Empfang genommen worden.
Drei weitere Freigelassene, darunter der Wallstreet-Journal-Reporter Evan Gershkovich, reisten in die USA aus. Russland wurden dafür acht eigene Staatsangehörige übergeben, darunter der sogenannte Tiergartenmörder Wadim Krassikow, der für den Geheimdienst gearbeitet und 2019 in Berlin einen Tschetschenen ermordet hatte. Der frühere US-Präsident Joe Biden würdigte die monatelangen, diskreten Verhandlungen mehrerer Länder als eine "Meisterleistung der Diplomatie".
Von der Unterdrückung in Russland und Belarus seien, so der ebenfalls vor einem Jahr ausgetauschte frühere Nawalnyj-Mitarbeiter Wadim Ostanin, auch viele ältere, kranke und behinderte Menschen betroffen. Sie würden gebrochen, gefoltert, eingeschüchtert, ihnen würden Medikamente verweigert. "Führt keine Gespräche mit Diktatoren, ohne dass Ihr nach den Gefangenen fragt!", wandte sich Ostanin an die internationale Gemeinschaft. "Freiheit ist kein Privileg, sondern ein Recht. Und Schweigen tötet."
Die junge Ukrainerin Liusiena Zinowkina erinnerte zugleich an die vielen – geschätzt 16.000 – ukrainischen Zivilisten, die sich noch immer in russischer Gefangenschaft befinden, darunter ihr eigener Mann Kostiantyn. Ihn hatten Sicherheitskräfte im Mai 2023 in Melitopol verhaftet, angeblich weil er die Ausgangssperre verletzt hatte. Inzwischen ist die Stadt im Süden der Ukraine von Russland besetzt, und Kostiantyn Zinowkin wurde des Terrorismus beschuldigt. Er stehe nun vor einem Militärgericht in Rostow am Don, berichtete die Ukrainerin mit Tränen in den Augen. "Mehr als 16.000 Menschen brauchen Ihre Hilfe!", bat sie. Tatsächlich geht es bei den international vermittelten Gefangenenaustauschen zwischen der Ukraine und Russland in der Regel nur um Kriegsgefangene, nicht um Zivilisten.
Man unterscheide nicht zwischen russischen und belarussischen politischen Gefangenen und anderen Opfern von Krieg und Aggression wie den ukrainischen Kriegsgefangenen und illegal inhaftierten Zivilisten, heißt es ausdrücklich in einer gemeinsamen Erklärung des Memorial-Mitbegründers Orlow und anderer Oppositioneller, die das Dokument am Freitag unterzeichneten. Vor einem Jahr in Köln hätten alle gehofft, der eigenen Freilassung würden weitere folgen. Stattdessen komme es jetzt spontan zu isolierten Austauschen, und der entscheidende Prozess, der durch multilaterale diplomatische Bemühungen eingeleitet wurde, sei nicht aufrechterhalten worden.
"Wir appellieren an die Staats- und Regierungschefs der Welt, die nach wie vor die Werte der Menschenrechte hochhalten: Hört nicht auf, für die Freiheit der politischen Gefangenen zu kämpfen, die von diktatorischen Regimen festgehalten werden; Intensiviert Eure Bemühungen und bewahrt die Einheit in diesem Kampf", heißt es weiter in dem Aufruf. Die Freiheit aller zu Unrecht Inhaftierten sei kein Zugeständnis, sondern Grundvoraussetzung für eine Normalisierung der Beziehungen und einen dauerhaften, gerechten Frieden. gd