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Mittel und Wege, Zynismus und Staatsräson

„Das muss ein Ende haben", forderte Noch-Außenministerin Annalena Baerbock in einer der letzten Erklärungen ihrer Amtszeit, einem Statement, das sie gemeinsam mit den Außenministern Frankreichs und Großbritanniens veröffentlichte. Die drei Spitzendiplomaten bezogen sich auf Israels Blockade jeglicher Hilfslieferungen nach Gaza.
May 2, 2025
April 30, 2025

Von Ewald König

Würde dieser Handshake von Friedrich Merz mit Benjamin Netanjahu demnächst auf deutschem Boden stattfinden, wären Konflikte nicht zu vermeiden. Quelle: x.com/_FriedrichMerz

Die israelische Entscheidung, die Einfuhr von Hilfsgütern in den Gazastreifen zu blockieren, sei nicht hinnehmbar; israelische Pläne, nach dem Krieg in Gaza zu bleiben, seien inakzeptabel. „Wir bringen erneut unsere Empörung über die jüngsten Angriffe israelischer Streitkräfte auf Personal, Infrastruktur, Räumlichkeiten und Gesundheitseinrichtungen der humanitären Hilfe zum Ausdruck."

Dieses Statement ist sowohl im Rückblick als auch in der Vorausschau interessant.

Wer bisherige Erklärungen der Sprecherriege in den Regierungspressekonferenzen verfolgt hat, staunt über diese klare Stellungnahme. Denn allzu häufig wurden kritische Journalistenfragen in der Bundespressekonferenz nicht oder ausweichend, jedenfalls unbefriedigend beantwortet. Die Ampelregierung schien mit dem Vorgehen der israelischen Regierung lange Zeit keinerlei Problem zu haben. Israel habe das Recht, sich selbst zu verteidigen, und über allem stehe die Staatsräson. Soweit der Rückblick.

In der Vorschau auf die kommende Regierung unter dem mutmaßlichen Bundeskanzler Friedrich Merz stellen sich erneut viele Fragen. In seiner Bewertung des Gaza-Konflikts und der Beziehung zur Regierung Netanjahu gelang es Merz schon vor Amtsantritt, Schaden anzurichten.

Es geht um seine Einladung des israelischen Regierungschefs Netanjahu nach Deutschland. Allein die bloße Ankündigung, ihn nach Deutschland zu holen und „Mittel und Wege" zu finden, dass der Gast in Deutschland keine Vollstreckung des Haftbefehls befürchten müsse, den der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gaza-Krieg ausgesprochen hatte, allein diese Ankündigung birgt Sprengkraft.

Damit gerät Merz in Konflikt nicht nur mit dem Völkerrecht, sondern auch mit der Gewaltenteilung in Deutschland selbst, einem Land, das auf die Unabhängigkeit seiner Justiz stolz ist. Wie will denn ein Regierungschef eine Festnahme verhindern, ohne in Judikative und Exekutive einzugreifen? Es gibt schlicht keine legalen „Mittel und Wege", die Festnahme und Überstellung zu verhindern.

Merz würde den IStGH regelrecht an den Pranger stellen, die Autorität unterminieren und ihn in der Konsequenz überflüssig machen – jenes Organ, das Deutschland mitbegründet hat und mit einem Drittel finanziert, weil ihm die Einhaltung des Rechts ein Anliegen ist. Als Vertragsstaat des IStGH ist Deutschland sogar verpflichtet, einem Ersuchen nach Festnahme nachzukommen.

Er provoziert ferner unnötige Fragen nach doppelten Maßstäben im Vergleich zu anderen Konfliktparteien der Vergangenheit und der Gegenwart. Er setzt Deutschlands Außenpolitik dem Vorwurf der Heuchelei aus. Der bisherige Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, betonte vor kurzem, wie sehr dieses Messen mit zweierlei Maß dem Ansehen der EU weltweit schade – „nicht nur in der muslimischen Welt, sondern überall in Afrika, Lateinamerika und Asien". Da wird Merz, dem mehr außenpolitisches Interesse nachgesagt wird als Olaf Scholz, viel zu erklären haben.

Und er stellt sich und Deutschland – Staatsräson hin, Staatsräson her – auf eine Stufe mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der demonstrativ unmittelbar nach dem IStGH-Urteil Netanjahu eingeladen und in allen Ehren empfangen hatte.

Merz' Einladung würde auch in Teilen der israelischen Bevölkerung auf Unverständnis stoßen, die gegen ihren Ministerpräsidenten und seine ultrarechten Koalitionspartner demonstrieren. Vielen von ihnen ahnen, dass Netanjahus aktuelles Vorgehen letztendlich Israels eigene Sicherheit und Existenz zu gefährden droht.

Berichterstattung aus dem Gaza-Streifen ist kaum mehr möglich. Die Tötung und Verstümmelung von Zehntausenden Menschen, von Tausenden Kindern, die Vernichtung der Infrastruktur sind folglich hierzulande kaum präsent, ebensowenig wie die immer aggressivere Siedlungspolitik Israels im Westjordanland. Dazu Borrell: „Dass es kaum ungefilterte Bilder aus Gaza gibt, die in die öffentliche Debatte hineinwirken, halten manche für einen der Gründe für das kollektive Wegschauen: Aus den Augen, aus dem Sinn."  Es gibt kaum Dokumente der Folgen der Totalblockade, der Hungersnot, der ethnischen Säuberungsaktion, die Gaza zum Massengrab machen.

Dass die Existenz Israels deutsche Staatsräson ist, versteht sich angesichts der Vergangenheit Deutschlands von selbst. Unbestritten ist auch, dass das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 unerträglich war und nicht unbeantwortet bleiben konnte. Aber Kritik an der aktuellen israelischen Regierungspolitik muss erlaubt sein. Die neue Bundesregierung sollte sich von Floskeln aus der Vergangenheit verabschieden. Denn die Lehren aus der deutschen Vergangenheit sollten doch gerade die sein, dass für klare Völkerrechtsverletzungen kein Freibrief ausgestellt werden darf - ganz egal, wer sie begeht. Diese Kritik darf nicht automatisch als Antisemitismus geahndet und die Staatsräson des Schweigens und Wegsehens nicht zum Instrument des Zynismus gemacht werden. Merz wäre besser beraten, wenn er „Mittel und Wege" fände, Netanjahu jetzt nicht einzuladen und auf europäische Partner zu hören.