Interview von Gudrun Dometeit
Alle waren sie dabei, die politischen Pop-Stars der damaligen Zeit, Erich Honecker und Helmut Schmidt, Leonid Breschnjew und Gerald Ford, Andrej Gromyko und Henry Kissinger, Bruno Kreisky, Harold Wilson, Giscard d'Estaing, Nicolae Ceausescu, Pierre Trudeau, Kurt Waldheim, Josip Broz Tito, Erzbischof Makarios, und noch einige andere mehr. Es war ein Stelldichein der Mächtigen der Welt aus 35 Staaten im Juli/August 1975, als sie mit ihren schwarzen, glänzenden Limousinen in Helsinki einrollten, um die sogenannte Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa zu unterzeichnen. Die Zusammenkunft galt als Ereignis von historischem Ausmaß nach dem Zweiten Weltkrieg, das die Block-Konfrontation reduzierte und am Ende zumindest dazu beitrug, den Zusammenbruch des sozialistischen Ostblock zu beschleunigen.
Eine ziemlich ernste Angelegenheit also und ein bisschen staatstragend und dröge dazu. Nicht so im Film "Der Helsinki Effekt" des finnischen Regisseurs Arthur Franck. Wer hat schon Breschnjew jemals seine buschigen Augenbrauen kämmen sehen, einen Kissinger sagen hören, dass er alles todlangweilig findet, schlafende Staatschefs oder sich ständig den Schweiß von der Stirn wischende Reporter beobachten können. Und einen Breschnjew, der sich anscheinend vor seinem Politbüro verteidigt und dem alles viel zu lange dauert. Mit Hilfe eines riesigen Fundus an Originalaufnahmen, von lange als geheim klassifizierten Transkripten und mit Künstlicher Intelligenz, die die Politiker quasi posthum erklären lässt, was eigentlich los war auf der Konferenz, nimmt Franck das Jahrhundertereignis von der humorvollen Seite. Und der Zuschauer lernt, wie unendlich viel diplomatische Geduld nötig war, damit das Jahrhundertereignis zustande kam. Der Film lief im Juni in deutschen Kinos an.
Fünfzig Jahre ist es her, dass in Helsinki die sogenannte Schlussakte der Konferenz für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa (KSZE) unterzeichnet wurde. Ihr Film „Helsinki-Effekt“ präsentiert diesen sehr wichtigen historischen Moment - den Beginn des Endes des Kalten Krieges - auf sehr humorvolle, nicht nur rein dokumentarische Weise, auch mit KI-Werkzeugen. Es ist trotzdem ein schweres und kein typisches Thema für einen Filmemacher. Was hat Sie motiviert, diesen Film zu machen? Nur das Jubiläum?
Ich habe einen Film und eine TV-Doku-Serie im Frühherbst 2021 fertiggestellt. Beide waren bereits angelaufen und ich hatte wirklich Angst, dass ich nichts mehr zu tun haben würde, weil kein neuer Film in der Mache war. Außerdem war ich sehr an der Idee interessiert, einen Film ohne einen einzigen Drehtag zu produzieren. Der Prozess des Filmens ist nicht mein Lieblingsteil des Filmemachens. Ich fühle mich wohler, wenn ich allein in beheizten Räumen mit Hausschuhen und einer Kaffeemaschine in der Nähe arbeiten kann. Und genau davon habe ich geträumt - ein Film nur mit Hilfe von Archiven. Ich hatte mich zuvor mit Geopolitik und Geschichte beschäftigt, also suchte ich dort nach Themen, die all diese Bedürfnisse abdeckten. Die Konferenz wartete nur darauf, dass jemand etwas über sie machte. Ich fing an, mir das Material anzusehen, Bücher zu lesen und fand vieles, was ich nicht wirklich wusste. Ich glaube, dass es vielen so geht - außer einigen geopolitischen Junkies vielleicht. Und dann geschah während dieses Prozesses der russische Angriff auf die Ukraine. Dadurch wurde deutlich, wie sehr sich manche Themen wiederholen: die Angst vor einem Imperium, einem neuen Kalten Krieg. Der Jahrestag war zusätzlich ein gutes Argument, um Sender zu überzeugen, das war der opportunistischere Aspekt, um das Projekt zu präsentieren.
Wann haben Sie mit der Arbeit an dem Film begonnen?
Im Oktober 2021 gab es, glaube ich, den ersten kleinen Keim einer Idee, dass etwas zu diesem Thema möglich sein könnte. Ende Oktober 2023 ging ich zum finnischen Rundfunk, um mir das erste Mal das Filmmaterial anzusehen. Fast drei Jahre lang bereitete ich mich vor, schrieb Skizzen, beantragte die ersten Gelder und sammelte das Material. Im Jahr 2024 drehten wir den Film, weil wir die Finanzierung gesichert hatten, und dann ging es nur noch um den Schnitt.
Welche Art von Archiven haben Sie genutzt, und gab es irgendwelche Schwierigkeiten, Zugang zu ihnen zu erhalten? Gab es geheime Akten, an die Sie nicht herankommen konnten?
Ja und nein, würde ich sagen. Das meiste Filmmaterial war hier in Helsinki bei der Finnischen Rundfunkgesellschaft verfügbar. Und es war sehr einfach, mit ihnen zu arbeiten. Aber ich wollte auch international in einem breiteren Rahmen suchen. Das sollte nur wie eine zusätzliche Würze hier und da sein, weil es in Helsinki schon so viele Dokumente gab. In einem der Bücher fand ich den Hinweis auf Abschriften - von dem, was Henry Kissinger über die Konferenz sagte. Ich ging ins Internet und fand dort diese Abschriften. Ich dachte, gut, jetzt kann ich etwas zeigen, was nicht zu sehen sein sollte. Wenn die Kameras aus den Räumen geschickt werden, kann ich nun verfolgen, was hinter verschlossenen Türen passiert.
Sie sprechen von Abschriften nicht der offiziellen Erklärungen, sondern von Gesprächen in Hinterzimmern?
Ja. Die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen wurden vom US-Außenministerium 2008 freigegeben, glaube ich. Natürlich hatte ich auch Zugang zu allem, was im offenen oder öffentlichen Raum gesagt wurde. Es stellte sich jetzt die Frage, wie man mit diesen Protokollen umgehen sollte. Wir haben über alles Mögliche nachgedacht, aber dann wurden zufällig gleichzeitig diese KI-Tools zum Klonen von Stimmen verfügbar. Ich habe sie getestet und dachte: Das ist es, das ist der richtige Weg, um es zu tun. Gleichzeitig fehlte eine Art Klebstoff, um all die Dinge zu erzählen, die im Filmmaterial der Transkripte nicht vorhanden waren, der Kontext, in dem sie standen. Ich hatte zudem das Gefühl, dass ich auf diese Weise auch meine eigene Reise während des Themas einbringen konnte. Meine ganz eigene Erzählung auf eine neue Art und Weise. So kam die Idee auf: Wie wäre es, wenn ich Breschnjew und Kissinger anrufe und ihnen Fragen stelle, um einige dieser Informationen zu erhalten? Das war das letzte Puzzlestück, das den Film ausmachte.
Haben Sie jemals versucht, russische Originaldokumente zu bekommen, zum Beispiel über die Verhaftung und Freilassung von Alexander Solschenizyn 1974?
Die Originalakten wurden Anfang der 90er Jahre kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion herausgeschmuggelt. Wladimir Bukowski, der zuvor als Dissident ins Exil gegangen war, kehrte nach Russland zurück und verschaffte sich Zugang zu den KGB-Archiven. Aber er wusste, dass er sich beeilen musste. Also schnappte er sich alles, was er finden konnte, und brachte es aus dem Land. Was er herausholte, könnte das Letzte sein, was wir jemals zu sehen bekommen, denn die Politik der Freigabe von Akten ist ja wieder sehr rigoros. Jemand hat aus den Bukowski-Akten eine Datenbank gemacht. Zu der Zeit, als ich den Film drehte, ging es darum, Breschnjew und die ganze politische Diskussion auf Russisch zu haben, aber ich konnte die russischen Akten nicht finden, als ich den Film drehte. Erst nach dem Start der internationalen Version und dem Beginn der deutschen Version haben wir die russischen Originale gefunden. Daher gibt es in der deutschen Fassung einige Szenen, in denen Breschnjew Russisch spricht.
Im Übrigen: Warum nur eine deutsche Version? Auf der Konferenz waren doch 35 Nationen vertreten.
Das ist entstanden, weil wir eine deutsche Finanzierung hatten. Wir hatten Arte an Bord. Ich denke, es wird auch in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens in einer breiteren Form verbreitet werden.
Warum den Film nicht auch nach Russland bringen? Immerhin kam die ursprüngliche Idee für die Konferenz bereits in den fünfziger Jahren aus der Sowjetunion.
Ich weiß nicht, wie das funktioniert und wie die Realität dort aussieht, daher kann ich diese Frage nicht beantworten.
Was für Reaktionen haben Sie bisher erhalten, auch von Politikern?
Vor allem finnische Politiker und Diplomaten haben alle sehr, sehr positiv reagiert, zumindest mir gegenüber. Der Film scheint bei den Menschen Anklang zu finden. Ich selber fühlte mich nach Abschluss des Films hoffnungsvoller und hatte ein bisschen mehr Vertrauen gewonnen in die langwierigen und sehr komplexen diplomatischen Prozesse. Dass selbst, wenn etwas scheitert, dies nicht das Ende der Welt bedeuten muss. Dass man man es einfach weiter versucht, und dann manchmal Früchte erntet. Ob etwas funktioniert, weiß man oft nicht einmal, wenn es eine Vereinbarung gibt. Auch beim Helsinki-Abkommen ahnte bei der Unterzeichnung niemand, dass es am Ende so viel bewirken würde.
Ihr Film trägt den Titel „Helsinki-Effekt“. Was war die wichtigste Auswirkung der Konferenz oder des Helsinki-Prozesses? Lange gedauert hat die Wirkung offenbar nicht - jetzt haben wir sogar einen offenen Krieg in Europa. Kann Reden wirklich soviel bewirken?
Es gibt eine doppelte Bedeutung des Titels. Ein Teil der Politiker, der sich für mehr Dialog und Regeln einsetzte, wollte ein Abkommen mit gemeinsamen Normen für das Verhalten in Europa schaffen. Die Atmosphäre während des Helsinki-Prozesses in jenen Tagen ist also ein Teil des Helsinki-Effekts - die Beziehungen zwischen Ost und West haben sich währenddessen ein wenig normalisiert. Aber der interessantere Teil des Helsinki-Effekts ist der lange Weg danach, wie das Abkommen die Graswurzelbewegungen gestärkt hat, die sich auf das Abkommen berufen konnten. Der Papiertiger, der von der sozialistischen autoritären Herrschaft in Osteuropa übrig geblieben war, fiel einfach um. Das ist der Helsinki-Effekt.
Es war natürlich nicht das Einzige, was die Welt damals verändert hat, aber die Menschen, die auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs lebten, sagen, dass dies für sie eine große Rolle gespielt hat. Allerdings kann man selten in die Vergangenheit zurückgehen und sagen, oh, da ist diese Kiste, lasst uns die Dinge einfach in einen neuen Kontext stellen und auf dieselben Ergebnisse hoffen. Was man aus diesen Entwicklungen jedoch mitnehmen kann, ist, dass es immer eine Chance gibt. Die Welt war damals in einem noch schlechteren Zustand als heute, wenn man sich die Kuba- und Berlin-Krise, die Tschechoslowakei und Ungarn ansieht. Die Bomben stapelten sich, und führende Politiker der beiden Blöcke überzogen sich mit sehr harschen Erklärungen. Menschen trainierten für nukleare Unfälle. Und dann gab es plötzlich ein kleines Aufatmen, einen dialogorientierten Prozess. Vielleicht ergreift irgendwann eine neue Generation von politischen Führern, wahrscheinlich nicht zu Zeiten von Wladimir Putin oder Donald Trump, aber doch in nicht allzu ferner Zukunft, eine kleine Initiative oder eröffnet einen informellen Kommunikationskanal. Und plötzlich ist der Verhandlungstisch wieder bereitet für einen neuen Dialog, der zu besseren Zeiten führen könnte.
Sie sind wirklich ein Optimist.
Ich habe drei Kinder, und ich möchte glauben, dass nicht alles linear zum Schlimmsten führen wird. Ich habe mich entschieden, optimistisch zu sein, alles andere ist eine zu schreckliche Vorstellung. Ich glaube, dass es kein Abkommen oder keinen Prozess gibt, der letztendlich alle Probleme lösen oder eine Art ewigen Frieden schaffen wird, denn das hat es in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben. Es gab immer Höhen und Tiefen, und vielleicht muss es sogar erst schlimmer werden, bevor es besser wird.
Also man kann nicht einfach den Helsinki-Prozess kopieren, eine neue Konferenz veranstalten und dort ein Rezept für die Gegenwart finden?
Nein, man kann nicht kopieren und einfügen. Wir leben in einer neuen Welt. An den unterzeichneten Dokumenten gibt es nichts auszusetzen. Was wir jedoch brauchen, sind Führungspersönlichkeiten, die bereit sind, sich wieder für eine auf Regeln basierende Ordnung einzusetzen. Wie in amerikanischen Filmen, in denen eine Frau und ein Mann ihr Gelübde erneuern und damit bekräftigen, dass sie für immer zusammenleben wollen.
Alle Führer, die am Entspannungsprozess beteiligt waren, stammten aus einer Kriegsgeneration, waren sogar selbst Soldaten. Kriegserfahrung - macht das einen Unterschied?
Wahrscheinlich, ja. Es ist selbst für meine Generation schwer zu begreifen, wie wichtig die symbolische Bedeutung der 35 Führer war, die an diesem Tisch saßen und das Dokument unterzeichneten. Jeder von ihnen hatte seine eigenen Beweggründe, und jeder verfolgte persönliche Interessen, aber auch die seines Landes. Die Führungspersönlichkeiten sind heute andere, aber wir sollten die Möglichkeit von starker, guter Führung nicht abtun. Die Bürgerinnen und Bürger fordern von unseren Führungskräften bessere Ergebnisse und ermächtigen sie, auch in Diplomatie zu investieren. Finnlands Präsident Alexander Stubb sagte auf der letzten Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2025, die Welt brauche mehr Helsinki und weniger Jalta. Sie wissen, dass auf der Jalta-Konferenz vor 80 Jahren die wichtigsten Staats- und Regierungschefs die Welt nach ihren Interessensphären aufgeteilt haben. Der Weg, wie Trump und Putin die Ukraine-Krise zu lösen versuchen, ist der Weg von Jalta. Dies wird immer die Grundlage für Missstände und Verbitterung sein. Der komplexe Weg, der langweilige Weg einer breiten Diskussion mit vielen Ländern, das ist der Pfad, um nachhaltigen Wandel zu schaffen. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass die Ukraine nicht zu einem neuen Palästina wird.
Geht Finnland nicht in eine konfrontativere Richtung, indem es seine Neutralität aufgegeben und Mitglied der Nato geworden ist?
Leider scheinen Signale der Stärke notwendig zu sein, bevor die Russen an den Verhandlungstisch kommen. Wenn man Unentschlossenheit zeigt, werden sie sich darauf stürzen. Ich denke, wir sprechen jetzt nur laut aus, was die Finnen schon seit langem im Kopf haben. Wir haben Russland nicht geliebt, obwohl wir uns viele Jahre lang bei ihm eingeschleimt haben. Aber das lag daran, dass wir Angst vor ihnen hatten. In dieser Angst steckte auch eine Menge Hass und Bitterkeit. Wir haben ein Zehntel unseres Landes verloren, was die Fläche angeht. Manche Menschen haben das noch nicht überwunden. Wir glauben an eine auf Regeln basierende Weltordnung. Wir glauben, dass Nationen nicht von einem Angriff bedroht sein sollten. Und wenn sie sich einer Koalition anschließen wollen, weil sie sich dadurch sicherer fühlen, sollten sie dieses Recht haben. Das sollte laut gesagt werden. Ich glaube nicht, dass wir sehr konfrontativ sind. Natürlich können wir nicht mehr die neutrale Rolle spielen, die wir während der KSZE - als Teil der NATO - gespielt haben. Also haben wir vielleicht auch etwas verloren.
ARTE zeigt die deutsche Fassung des Films ("Entspannung im Kalten Krieg: Die Schlussakte von Helsinki") um 22.00 Uhr. Der Helsinki Effekt Trailer - YouTube