Gespannt wie selten blickt die Welt nach Washington. Ausgerechnet US-Präsident DonaldT rump, der sich bislang Konflikten vor allem durch prahlerische Ankündigungen genähert hat, könnte bei der Beendigung des Gaza-Krieges eine entscheidende Rolle spielen. Der 20-Punkte-Plan ist ein kühner Wurf, der für Trumps Verhältnisse erstaunlich durchdacht und differenziert ist. Nicht nur die Hamas muss Opfer bringen: Das Papier sieht die völlige militärische und politische Entmachtungd er islamistischen Terrororganisation vor. Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird von Trump in die Pflicht genommen. Der Premier hat mehrere Zusagen gemacht, die für ihn bislang tabu waren. Dazu gehört der schrittweise Rückzug seiner Streitkräfte aus dem Gazastreifen sowie die Bereitschaft, die Palästinensische Autonomiebehörde nach einer Reform als letztendliche Regierungsinstanz in der Küstenenklave anzuerkennen. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner, die sowohl den Gazastreifen als auch das Westjordanland annektieren wollen, bringen diese Konzessionen zur Weißglut.
Die Frage drängt sich auf: Wie hat es Trump geschafft, den notorisch halsstarrigen Netanjahu zu derartigen Schritten zu bewegen? Israels Regierungschef hatte mehrere US-Präsidenten – zuletzt Joe Biden – durch seine Blockade-Haltung zur Verzweiflung getrieben. Hat ihm Trump geheime Versprechen gemacht, von denen die Weltöffentlichkeit noch nichts weiß? Oder ist Netanjahu durch seinen mit Zehntausenden zivilen Opfern gepflasterten Gaza-Feldzug international derart isoliert, dass er seinen letzten – und mächtigsten – Verbündeten Amerika nicht verlieren darf? Also am Ende ein Triumph Trumpscher Druck-Diplomatie, flankiert vom gigantischen US-Militärarsenal, das für Israel die ultimative Lebensversicherung ist?
Trumps Gaza-Vorstoß mag zum Teil mit narzisstischen Motiven zu tun haben: Am 10.Oktober wird in Oslo der Gewinner des Friedensnobelpreises verkündet, nach dem der US-Präsident seit Monaten schielt. Auch ist seine egomanische Intonierung vom „ewigen Frieden“ im Nahen Osten hoffnungslos übertrieben.
Und dennoch steckt in dem Gaza-Plan eine große Chance, die über eine pure Beendigung des brutalen Krieges in dem Küstenstreifen hinausreicht. Trump schwebt eine Wiederauflage des Abraham-Abkommens aus seiner ersten Amtszeit 2020 vor. Damals erkannten zunächst die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain und danach auch Marokko und der Sudan Israel an. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen arabischen Ländern und Israel war vermutlich Trumps größter außenpolitischer Erfolg.
Ein großer arabisch-israelischer Ausgleich könnte auch im Zuge der Beendigung des Gaza-Konflikts erreicht werden. Der Trump-Plan stößt auf überwältigende internationale Zustimmung – selbst in China. Vor allem die Rückendeckung durch arabische Staaten ist strategisch entscheidend. Die Außenminister von Katar, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Saudi-Arabien und Ägypten begrüßten Trumps Vorschlag. Die intensive politische Lobby-Arbeit der Amerikaner im Nahen Osten scheint Früchte zu tragen. Das Papier wurde auch von der Türkei, Pakistan und Indonesien mitgetragen.
Die arabischen Staaten hatten bislang immer auf eine Zustimmung zur Zweistaaten-Lösung gepocht, die ein unabhängiges Palästina Seite an Seite mit Israel vorsah. Die Zweistaaten-Lösung ist zwar nicht explizit im 20-Punkte-Plan erwähnt. Doch das Endziel eines Palästinenserstaats wird zumindest als „politischer Horizont“ wolkig umschrieben, was den arabischen Ländern zunächst reicht. Das gilt offenbar auch für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der die Hamas-Mitglieder in der Vergangenheit noch als „Freiheitskämpfer“ bezeichnet hatte.
Der Gaza-Plan kann immer noch scheitern, wenn ihn die Hamas ablehnt. Doch die arabischen und muslimischen Staaten, von denen einige in der Vergangenheit die Hamas unterstützt haben, werden Druck auf die Islamisten ausüben. Natürlich sind viele Details im Trump-Papier noch offen und potenzielle Stolpersteine. So ist unklar, wer in einer zunächst installierten palästinensischen Technokratenregierung sitzen soll. Auch das Zusammenspiel der palästinensischen Technokraten mit einem übergeordneten Friedensrat“, dem neben Trump internationale Spitzenpolitiker wie der britische Ex-Premier Tony Blair angehören sollen, bietet Reibungsflächen. Am Ende soll die heute im Westjordanland angesiedelte Palästinensische Autonomiebehörde rund um den 89-jährigen Mahmud Abbas die Regierungsgeschäfte im Gazastreifen übernehmen. Ob sich diese Verwaltungsinstanz, die seit Jahrzehnten als zutiefst korrupt gilt, runderneuern kann, muss sich erst erweisen.
Es gibt etliche Gründe, den Gaza-Plan skeptisch zu betrachten. Und es gibt viele Argumente, Trumps innenpolitischen Kurs der absoluten Machtkontrolle zu kritisieren. Dennoch muss festgehalten werden: Der US-Präsident hat im Nahen Osten eine neue diplomatische Dynamik geschaffen, die lange Zeit fehlte.