Verspätet und verregnet, aber einig in praktisch allen Punkten: Sein allererster bilateraler Auslandsbesuch führte den österreichischen Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) am Freitag ins deutsche Bundeskanzleramt zu seinem Amtskollegen Friedrich Merz (CDU). Er traf zwar, aus Brüssel vom Europäischen Rat kommend, mit 18 Minuten Verspätung an, doch war er höchst zufrieden mit dem Gesprächsverlauf. In allen zentralen politischen Fragen herrschte Übereinstimmung. Das war mit früheren Regierungschefs nicht immer so.
Gemeinsame Linie bei Migration
Im Fokus stand das Thema illegale Migration. Beide Kanzler betonten die erfolgreiche Zusammenarbeit bei den Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Österreich. „Gut, dass unsere Warnungen ernst genommen werden und wir einen Partner gefunden haben, der es ähnlich sieht“, erklärte Stocker gegenüber Journalisten. Merz ergänzte, die abgestimmten Maßnahmen hätten die irreguläre Migration und die Schlepperkriminalität spürbar reduziert.
Stocker stellte klar, dass Österreich und Deutschland bei dieser Herausforderung „am selben Strang ziehen“ – eine gemeinsame Grenze bedeute auch gemeinsame Verantwortung. Der Bundeskanzler lobte zudem die Fortschritte im Grenzschutz, verwies jedoch auf die weiterhin bestehende Notwendigkeit von Kontrollen, da Schengen noch „keinen robusten Außengrenzschutz“ biete. Dass es dennoch riesige Fortschritte gebe, "führe ich auf den Druck von Österreich zurück", sagte Stocker.
Situation in Gaza „nicht akzeptabel“
Auch in geopolitischen Fragen signalisierten beide Regierungschefs Einigkeit. Sie begrüßten die jüngste Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran als Chance für diplomatische Lösungen. Stocker richtete einen „dringenden Appell“, endlich mehr humanitäre Hilfe für den Gazastreifen zuzulassen. Die Freilassung der israelischen Geiseln sei zwar überfällig und die Hamas dürfe keine Rolle mehr spielen, "aber die jetzige Situation ist nicht akzeptabel“.
Die Frage, ob es nuancierte Unterschiede in der Haltung der beiden Regierungen gegenüber der israelischen Regierung gebe, verneinte Stocker. "Deutschland und Österreich haben historische Verantwortung gegenüber Israel. Wie die Deutschen sind auch wir Freunde Partner und Unterstützer Israels."
Gleichzeitig müsse man jedoch sagen, gerade als Freunde und Partner müsse man auf ein Land einwirken, wenn es Zustände gebe, die nicht akzeptabel seien. Stocker betonte, er wisse sehr wohl, was am 7. Oktober 2023 den Juden angetan worden sei. Er habe auch Hinweise erhalten, dass die Hamas der Zivilbevölkerung Hilfslieferungen wegnehme, sogar mit Gewalt und im Zuge von Hausdurchsuchungen.
„Israel soll es seinen Unterstützern nicht schwerer machen“
Eine Verbesserung der Situation erreiche man nicht unbedingt durch die Aussetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel. Man müsse alle Kanäle nutzen, Gespräche zu führen.
"Gerade als Freund Israels muss ich aber sagen, Israel sollte es den Unterstützern nicht schwerer machen, als es sein muss. Den Preis für die Hamas darf nicht die Zivilbevölkerung in Gaza zahlen müssen.
Schulterschluss mit der Ukraine
Beide Kanzler unterstützten zudem weitere Sanktionen gegen Russland und bekräftigten ihre Solidarität mit der Ukraine. Friedensverhandlungen seien zwar wünschenswert, doch sehe man derzeit keine Verhandlungsbereitschaft seitens Russlands.
Die Erhöhung der Ausgaben für die NATO sei keine Gefälligkeit gegenüber US-Präsident Donald Trump, betonte Merz, sondern erfolge aus eigener Kenntnis der Notwendigkeit. Mit den getroffenen Entscheidungen passe man sich der aktuellen Bedrohungslage an.
Respekt vor Österreichs Neutralität
Trotz der militärischen Zurückhaltung Österreichs zeigte sich Merz beeindruckt von den sicherheitspolitischen Anstrengungen Wiens. Er zeigte "größten Respekt", wie Österreich mit seiner Neutralität umgehe und was es im Rahmen seiner Möglichkeiten unternehme. Stocker wies den Eindruck eines Journalisten zurück, Österreich sei Trittbrettfahrer. Österreich verdopple seine Ausgaben für die Landesverteidigung. Wichtig sei jedenfalls, dass die Kommandostruktur im Inland bleibe. Der Gast aus Österreich verwies auf die Beteiligung an gemeinsamen Rüstungsprojekten, soweit dies mit der Neutralität vereinbar sei – etwa beim Abwehrsystem „Skyshield“.
Wien als Verhandlungsort angeboten
Stocker nutzte seinen Berlin-Besuch auch, um Wien als möglichen Verhandlungsort für internationale Konfliktparteien – etwa im Nahost- oder Ukraine-Krieg – ins Spiel zu bringen. Die Stadt verfüge über eine lange diplomatische Tradition und beherberge mehr als 50 internationale Organisationen.
Nicht nur nach der mittäglichen Vier-Augen-Unterredung der beiden Regierungschefs, sondern auch bei allen anderen Gesprächen des Kanzlers in Berlin zeigte sich bei keinem einzigen Thema die Nuance einer Differenz zwischen den beiden Nachbarländern. Stocker berichtete von "großer Übereinstimmung in der Sicht der Dinge“.
Das verwundert wenig: Beide Regierungschefs gehören konservativen Parteien an, beide sind neu im Amt und beide haben die gleichen Probleme und die gleichen Lösungsansätze.
Der Berlin-Besuch war Stockers erster offizieller Auslandsauftritt seit seinem Amtsantritt vor knapp vier Monaten. Weitere bilaterale Termine, darunter ein Besuch in Rom Mitte Juli, sind geplant. Stocker lud Merz zu einem Gegenbesuch in Wien ein – ein konkretes Datum steht allerdings noch aus.
ekö