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Stadt der Freiheit, Stadt der Hoffnung

Der russische Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa fordert den Westen auf, über weitere Gefangenenaustausche zu verhandeln. Dissidenten diskutieren bei der ersten Berlin Freedom Week
November 11, 2025
November 11, 2025

Die Regimekritiker Garry Kasparow (v.l.n.r.) aus Russland, Masih Alinejad aus dem Iran und Leoppoldo Lopez aus Venezuela diskutieren bei der Berlin Freedom Week (Foto: Dometeit)

Der russische Oppositionspolitiker Wladimir Kara-Mursa hat auf der Berlin Freedom Conference den dringenden Appell an die westliche Staatengemeinschaft gerichtet, sich um den weiteren Austausch politischer Gefangener in Russland zu bemühen. „Hier geht es wirklich um das Überleben“, sagte Kara-Mursa, der selber im vorigen Jahr unter entscheidender Beteiligung der damaligen Bundesregierung nach jahrelanger Haft ausgetauscht worden war. Im Schnitt fünf Menschen pro Tag würden mittlerweile aus politischen Gründen verhaftet, mittlerweile gebe es in Russland mehr politische Gefangene in einem Jahr als in der gesamten damaligen Sowjetunion, erklärte der 44-Jährige. „Der Westen hat die moralische Verpflichtung, diesen Menschen, die ihr Leben für die Freiheit riskieren, beizustehen.“ An der erstmals stattfindenden Konferenz einen Tag nach dem Jahrestag des Mauerfalls vor 36 Jahren nahmen zahlreiche Oppositions- und Exilpolitiker aus autoritär regierten Ländern teil, darunter aus dem Iran, Venezuela, Ruanda und Afghanistan.  

Die Tagung im Schöneberger Gasometer leitete die Berlin Freedom Week ein, die nach den Worten des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner kein einmaliges Ereignis bleiben sondern institutionalisiert werden soll. Auch wolle der World Liberty Congress, in dem sich Freiheitskämpfer und Dissidenten aus der ganzen Welt 2022 zusammengeschlossen haben, sein Hauptquartier in der „Stadt der Freiheit“ aufschlagen. Kein Ort der Welt stehe so sehr für Freiheit aber auch dafür, dass diese immer wieder erkämpft und verteidigt werden müsse, so Wegner. Der Mauerfall 1989 sei ein Signal an die Welt gewesen, dass man den Traum und den Willen zur Freiheit nicht einfach wegsperren könne. Berlin sei eine Stadt der Hoffnung“, ein Leuchtturm, ein Sehnsuchtsort.

Dissidenten-Duo: Jewgenija und Wladimir Kara-Mursa setzen sich für politische Gefangene in Russland ein. Der Nawalny-Vertraute kam im vorigen Jahr selber bei einem Austausch frei (Foto: Dometeit)

"Paris hat seine Fashion week, Berlin nun seine freedom week“, scherzte die iranische Frauenrechtlerin Masih Alinejad, Präsidentin und Co-Gründerin des World Liberty Congress. Sie warb mit flammenden Worten für die Rechte der Frauen im Iran und in Afghanistan. Es sei ein Schlag ins Gesicht dieser Frauen, wenn westliche Politikerinnen bei Besuchen im Iran einen Schleier anlegten, angeblich mit Rücksicht auf die unterschiedliche Kultur des Landes. Die Gründerin der Afghan Women Coalition for Justice, Shukria Barakzai, erklärte, sie gebe Millionen von Frauen in Afghanistan eine Stimme, die zum Schweigen gebracht worden seien, die nicht einmal als Ärztinnen arbeiten dürften, die unter Depressionen litten und von denen nicht wenige in den Selbstmord getrieben worden seien. Sie rief die Weltgemeinschaft dazu auf, die Taliban durch Gespräche und Kontakte nicht reinzuwaschen. Sie seien keine gewählten Vertreter der Afghanen und Afghaninnen,v erträten keine gewählten Institutionen. „Sprecht mit uns, nicht über uns.“  

Mehrere Redner warnten, dass Freiheit im Westen inzwischen allzuoft als selbstverständlich betrachtet werde. Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU)  plädierte daher dafür, mehr Mut zur Demokratiebildung in der Schule zu zeigen. Kinder müssten erleben, dass Lehrer auch unbequeme Themen ansprächen, zugleich aber auch mit ihren Meinungen gehört werden.  Nach Angaben des World Liberty Congresses leben mittlerweile 70 Prozent der Menschen in der Welt unter einem autoritären System. Demokratie ist demnach seit 19 Jahren kontinuierlich im Niedergang. Die Gefahr werde dennoch von manchen demokratischen Staaten immer noch unterschätzt, kritisierte der ehemalige Schachweltmeister Garry Kasparow unter Hinweis auf autoritäre Tendenzen und Wahlergebnisse in Ungarn, der Slowakei oder der Tschechischen Republik. „Mit Krebs lässt sich nicht verhandeln.“ gd