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Vorsicht bei „regime change“!

Israels Premier Benjamin Netanjahu setzt im Iran auf einen Zusammenbruch des Mullah-Staats. Dabei erwiesen sich ähnliche Interventionen des Westens bisher als Fehlschläge
June 18, 2025
June 18, 2025

Kolumne von Michael Backfisch, Berlin

Kriegspremier: Benjamin Netanjahu setzt beim Schlag gegen den Iran alles auf eine Karte Quelle: x.com/netanyahu

Der nun offen ausgetragene Krieg zwischen Israel und dem Iran ist ein Waffengang mit ungewissem Ende. Beide Seiten sind in einer Eskalationsspirale gefangen. Sie definieren ihre Maximalziele auf der Basis trügerischer Annahmen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu rechtfertigte seine Offensive damit, dass das Mullah-Regime kurz vor dem Bau einer Atombombe gestanden habe, was sein Land der Gefahr eines „nuklearen Holocausts“ ausgesetzt hätte. Beweise legte er nicht vor. Dass Netanjahu ausgerechnet jetzt zuschlug, liegt an mehreren Faktoren, die sein Vorhaben begünstigen.


Erstens: Teherans regionalpolitische Position ist so schwach wie seit dem Ende des irakisch-iranischen Krieges 1988 nicht mehr. Irans Verbündete Hamas und Hisbollah sind stark dezimiert. Syrien fällt nach der Flucht von Machthaber Baschar al-Assad als vorgeschobene Operationsbasis weg. Zweitens: Israelische Kampfjets haben im Oktober 2024 bereits weite Teile der iranischen Luftabwehr ausgeschaltet. Drittens: Mit US-Präsident Donald Trump hat Netanjahu die Rückendeckung durch die militärische Supermacht Amerika.

Ob Israels Angriff zu diesem Zeitpunkt unbedingt notwendig war, ist strittig. „Wir hatten keine Beweise für eine systematische Bedrohung, sich in Richtung einer Atombombe zu bewegen“, sagte Rafael Grossi, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), am Dienstag im US-Sender CNN. Die amerikanische Geheimdienstkoordinatorin Tulsi Gabbard erklärte Ende März im Geheimdienstausschuss des US-Senats, nach Einschätzung ihrer Nachrichtendienste baue der Iran derzeit keine Atombombe. Trump wischte diese Bewertung nach Gutsherrenart vom Tisch: „Es ist mir egal, was sie gesagt hat“, blaffte er vor Journalisten. Er selbst denke, der Iran sei „sehr nah dran“ gewesen, eine Nuklearwaffe zu haben. Schluss. Aus. Basta!

Auch wenn der Iran mit seinem spaltbaren Material in relativ kurzer Zeit rund zehn Atombomben bauen könnte: Ihm fehlen immer noch die notwendigen nuklearen Sprengköpfe sowie die Raketenträger-Technologie. Laut westlichen Experten braucht Teheran hierzu noch mindestens ein Jahr. Zudem waren die Atomverhandlungen zwischen den USA und dem Iran noch nicht ausgereizt. Netanjahu wollte den Krieg unbedingt – und er wollte ihn jetzt.

Dennoch bleibt festzuhalten: Der Iran hat sich taktisch und strategisch völlig verkalkuliert. Teheran hat durch politische Dummheit Israels Militärschlag geradezu provoziert. Nach Angaben der IAEA hat das Land von Februar bis Mai 2025 seine Bestände von zu 60 Prozent angereichertem Uran verdoppelt, auf über 400 Kilogramm. Für Nuklearwaffen ist ein Anreicherungsgrad von 90 Grad nötig, was mit geringem technischem Aufwand möglich ist. Zudem hat der Iran demonstrativ die Errichtung einer dritten Urananreicherungsanlage angekündigt. All dies wirft Schatten des Zweifels auf das Mantra der Mullahs, nur an einem zivilen Atomprogramm zu arbeiten. Dass vor diesem Hintergrund bei den Israelis die Alarmglocken läuten, hätte man in Teheran wissen müssen.

Der Iran hat sträflich ausgeblendet, dass Israel seit dem grausamen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 über einen geschärften Sinn für die Bedrohung des jüdischen Staates und einen neuen Wachsamkeitsmodus verfügt. Der größte strategische Fehler Teherans besteht jedoch in seinem obsessiven Festhalten an der Zerstörung Israels. Teheran hat es versäumt, eine Vision der friedlichen Koexistenz zu entwickeln.

Trotzdem muss Netanjahu aufpassen, dass er nicht überzieht. Er wird von der naiven Vorstellung getrieben, dass die Attacken seiner Armee zum Kollaps des iranischen Regimes führen. Er schloss sogar die gezielte Tötung des Obersten Führers Ali Khamenei nicht aus – genauso wenig wie zuletzt Trump. Doch Netanjahus und Trumps Aufrufe, die 15 Millionen Einwohner Teherans sollten angesichts bevorstehender Bombardements die Metropole räumen, sorgen bei der iranischen Bevölkerung ganz bestimmt nicht für Zustimmung. Wichtiger noch: Alle Vorstöße des Westens für „regime change“ sind in den letzten Jahrzehnten krachend gescheitert.

US-Präsident George W. Bush hatte 2003 die Illusion, dass nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak eine Demokratisierungswelle über den Nahen Osten schwappen werde. Stattdessen versank das Land in Anarchie – ein Nährboden für den Aufstieg der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS). Einer ähnlichen Täuschung saßen Europäer und Amerikaner auf, als sie 2011 Libyen bombardierten. Nach dem Tod des Langzeit-Herrschers Muammar al-Gaddafi übernahmen miteinander verfeindete Gruppen und Clans das Kommando, das Land wurde zum Spielball externer Akteure wie Russland oder die Türkei. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 vertrieb eine US-geführte Koalition zunächst die Taliban aus Afghanistan. Doch die vom Westen unterstützten Nachfolgeregierungen erwiesen sich als inkompetent und korrupt. Seit August 2021 sind die Radikalislamisten zurück an der Macht.

Um ein Worst-Case-Szenario zu vermeiden, müsste Trump dem Iran ein Last-Minute-Angebot unterbreiten: Dem Land sollte ein niedrigschwelliges ziviles Nuklearprogramm – möglicherweise im Rahmen eines internationalen Konsortiums – erlaubt werden. Gleichzeitig sollte der Bau von Kernwaffen durch wasserdichte Kontrollen ausgeschlossen werden. Wenn Teheran angesichts der hochtourigen Drohkulisse rational handelt, könnte eine weitere Eskalation in letzter Minute verhindert werden.

Denkbar ist aber auch, dass die politische Führung im Panikmodus reagiert: Das auf viele Orte verteilte Uran könnte weiter angereichert und der Bau einer Atombombe forciert werden. Vermutlich würde auch die Zerstörung der rund 100 Meter unter der Erdoberfläche liegenden Nuklearanlage Fordo durch bunkerbrechende Bomben der Amerikaner daran nichts ändern. Der Iran hätte dann das Ziel, einen Unantastbarkeitsanspruch nach dem Modell der Atommacht Nordkorea zu erreichen. Die Option „regime change“ eröffnet hingegen hohe Risiken. Am Ende könnte eine Militärdiktatur der Revolutionsgarden stehen, die noch brutaler agiert als das Mullah-Regime – oder ein Bürgerkrieg.