
Von Heinrich Kreft
Im Zentrum der Raumfahrt stand bis in die 1970er Jahre der Mond und der Wettbewerb um nationales Prestige der beiden Supermächte USA und Sowjetunion. Das Rennen konnten die USA nach frühen Erfolgen der UdSSR („Sputnik“) schließlich mit der bemannten Mondlandung für sich entscheiden. Im Zuge der Entspannungspolitik und nach dem Ende des Kalten Krieges folgte auch im Weltraum eine Phase der Kooperation, symbolisiert durch sowjetisch-amerikanische Kopplungsmanöver im All und den gemeinsamen Betrieb der internationalen Weltraumstation ISS. Doch 55 Jahre nach Apollo 11 verschärft sich die Rivalität im All wieder rasant.
Der Weltraum ist längst kein rein wissenschaftliches Gebiet mehr, sondern ein strategischer Schauplatz im globalen Machtkampf. Neben den traditionellen Akteuren USA und Russland hat sich China zu einer führenden Weltraummacht entwickelt, und auch Indien hat in den vergangenen Jahren bedeutende Fortschritte gemacht. Die nationalen Sicherheitsstrategien der USA, Chinas und Indiens messen der Raumfahrt zentrale Bedeutung für Sicherheit und Verteidigung aber auch für die Volkswirtschaft zu. Exemplarisch für die neue Großmachtkonkurrenz steht ein Zitat von US-Präsident Donald Trump: „You can´t be number one on earth if you´re number two in space.“
Kann Europa, mit seinen vielfältigen Raumfahrtagenturen und Unternehmen, in diesem internationalen Wettbewerb mithalten? Mit Copernicus und Galileo gehören die europäischen Staaten zu den führenden Nationen im Bereich Erdbeobachtung, Meterorologie und Navigation. Erhebliche Defizite gibt es jedoch in der bemannten Raumfahrt, beim Aufbau großer Satellitenkonstellationen (wie Starlink), bei Sicherheit und Verteidigung sowie generell der kommerziellen Nutzung des Weltalls. Die Rolle, die vor allem der Satellitenkommunikation im russisch-ukrainischen Krieg zukommt und die Abhängigkeit der NATO von US-Fähigkeiten in diesem Bereich bei gleichzeitig wachsenden Zweifeln an der Verlässlichkeit der USA sollten die europäische (Weltraum-)Politik aufrütteln.
Wachsende Bedeutung der Weltraumwirtschaft
Es geht aber auch um die Positionierung Europas in einem zentralen Zukunftsfeld, das Mario Draghi 2024 in seinem Bericht über die europäische Wettbewerbsfähigkeit hervorgehoben hat. Die globale Raumfahrtwirtschaft überschritt 2024 zum ersten Mal die Marke von 600 Milliarden US-Dollar, wie der aktuelle Space Report der US-amerikanischen Space Foundation ausweist, einer gemeinnützigen Organisation, die regelmäßig Analysen und Daten zur Entwicklung der Raumfahrtindustrie veröffentlicht. Für 2032 prognostiziert die Organisation ein Marktvolumen von einer Billion US-Dollar.
78 Prozent des globalen Volumens entfielen 2024 auf kommerzielle Anbieter, der Rest auf staatliche Programme. Die staatlichen Ausgaben für Raumfahrt stiegen um 6,7 Prozent auf insgesamt 132 Milliarden US-Dollar. Die USA allein investierten davon 77 Milliarden in nationale Sicherheits- und zivile Raumfahrtprogramme. Unter den privaten Weltraumunternehmen sticht SpaceX heraus. Das Unternehmen von Elon Musk allein führte 165 der weltweit 306 sogenannten Orbitalstarts in 2025 (bis 15.12.) durch, bei denen Nutzlasten erfolgreich in eine Umlaufbahn gebracht werden. In diesem Jahr hat damit alle 28 Stunden ein solcher Raketenstart stattgefunden.
Europa, einst führend in diesem Bereich, hat bisher nur drei erfolgreiche Orbitalstarts mit der Ariane 6 vom Centre Saptial Guyaniais (CSG) in Kourou, Französisch-Guayana in diesem Jahr zu verzeichnen. Hinzu kommen drei Starts der kleinen Vega-C von Italien aus. Immerhin hat Europa damit wieder einen eigenen Zugang zum All, der durch die verspätete Indienststellung der Ariane 6 und der Ausmusterung des Vorgängermodells 2023 verloren gegangen war.
China als größter Rivale der USA
In den USA sind es vor allem private Unternehmen, die in den vergangenen Jahren die Innovation vorangetrieben haben. Neben SpaceX gehört dazu das Unternehmen Blue Origin von Jeff Bezos und eine größere Zahl weniger bekannter Start-ups, aber auch Boeing, der ehemalige Platzhirsch, ist nach wie vor gut im Geschäft mit der NASA. Das Erfolgsgeheimnis der USA ist eine Mischung aus staatlicher Führung und privatwirtschaftlicher Neuerung, die auf die Öffnung des Weltraums für private Akteure während der Präsidentschaften von Ronald Reagan und Barack Obama zurückgeht.
Zum größten Rivalen der USA ist China aufgestiegen, und zwar im Rekordtempo. Seit den 2000er Jahren hat das Land enorme Fortschritte gemacht, mit eigenen Raumfahrtprogrammen, bemannten Missionen, Mond- und Mars-Expeditionen sowie einer eigenen Raumstation (Tiangong). Ein Coup gelang Peking 2019 mit der erstmaligen Landung auf der Rückseite des Monds.
Auch Russland, Pionier der Raumfahrt, ist nach wie vor ein bedeutender Akteur, vor allem im Bereich bemannter Raumfahrt und Satellitentechnologie. Noch kooperieren die USA und Russland beim Betrieb der gemeinsamen Raumstation ISS. Während die USA den Betrieb spätestens 2030 einstellen wollen, plant Russland die eigenen Module abzukoppeln und als Nukleus einer eigenen Raumstation zu nutzen.
Von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet hat Indien eine effiziente und kostengünstige Raumfahrtindustrie aufgebaut, die vor allem für Satellitenstarts und wissenschaftliche Missionen bekannt ist. Auch den Indern ist 2023 als vierter Nation eine unbemannte Landung auf dem Mond gelungen.
Mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), dem Weltraumprogramm der EU und zahlreichen nationalen Raumfahrtagenturen sowie privaten Partnern ist Europa ein bedeutender, aber im Vergleich zu den anderen Akteuren eher mittelgroßer Player mit einigen Stärken und erheblichen Schwächen. Europa verfügt über eine starke industrielle Basis, besonders in der Satellitentechnologie, Raumfahrttechnik und wissenschaftlichen Forschung. International arbeitet die ESA eng mit internationalen Partnern zusammen, vor allem mit der NASA und Elon Musks SpaceX und bis zum russischen Angriff auf die Ukraine mit Roskosmos. Der Fokus lag bisher auf Wissenschaft und Nachhaltigkeit mit Satellitenkonstellationen (z.B.Galileo Navigationssystem), Erdbeobachtung (Copernicus) und Raumfahrtforschung.
Militarisierung des Weltraums
Der Weltraum ist heute zu einem Terrain geworden, in dem sich Macht, Technologie und Souveränität überlagern. Kommunikations-, Navigations- und Aufklärungssatelliten bilden die kritische Infrastruktur moderner Gesellschaften und sind damit zugleich Angriffsziel und Machtinstrument. Die Kontrolle des Weltraums bedeutet Kontrolle über Informationsflüsse, globale Mobilität und militärische Einsatzfähigkeit. Die Militarisierung des Weltraums begann indes nicht erst in diesem Jahrhundert sondern schon in der Frühphase des Kalten Krieges. Der Start des sowjetischen Sputniks 1957 markierte bereits den Eintritt in eine neue strategische Epoche. Der Orbit wurde zur verlängerten Frontlinie zwischen den Supermächten. Spionagesatelliten, ballistische Raketen und Frühwarnsysteme veränderten das strategische Gleichgewicht grundlegend. Mit dem Ende des Krieges schien diese Dimension für kurze Zeit an Bedeutung zu verlieren. Doch Digitalisierung, globale Vernetzung und zunehmende Abhängigkeit ziviler wie militärischer Systeme von Satellitendaten haben den Weltraum in die Sicherheitslogik zurückgebracht. Heute gilt er als die "fünfte Domäne" militärischer Operationsführung - neben Land, See, Luft und Cyber.
Der Weltraumvertrag von 1967, der die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im All verbietet, hat diese zunächst schleichende und inzwischen offene Militarisierung des Weltalls nicht verhindern können. Für seine dringend gebotene Anpassung an technologische Neuentwicklungen fehlt der politische Wille der führenden Raumfahrtnationen. Ohne diese Bereitschaft können auch die Vereinten Nationen die Militarisierung nicht begrenzen. Mehr Erfolg hat die Weltorganisation bei der Verhinderung von Kollisionen im zunehmend überfüllten Orbit und der Begrenzung des Weltraummülls. Über eine Million Objekte - alte Satelliten, Raketenteile, Trümmer von Anti-Satellitentests - umkreisen die Erde. Ein solches Trümmerteil traf jüngst ein chinesisches Raumschiff und verhinderte die Rückkehr der Besatzung der chinesischen Raumstation zur Erde.
Die strategische Bedeutung des Weltraums liegt in seiner Funktion als Multiplikator militärischer und ökonomischer Macht. Kommunikationssatelliten sichern die Kommandostrukturen moderner Streitkräfte, Navigationssysteme wie GPS (oder GALILEO) ermöglichen präzise Waffenführung, und Erdbeobachtungssysteme liefern Echtzeitdaten für Aufklärung, Klimapolitik und Krisenmanagement. Wer den Zugang zum Orbit kontrolliert, verfügt über eine entscheidende Macht- und Kommandodimension in der modernen Weltordnung.
Europa braucht auch offensive Fähigkeiten
In dieser neuen geopolitischen Konstellation muss auch Europa lernen, seine Sicherheit im Orbit zu denken und zu verteidigen. Es ist wie alle entwickelten Staaten zunehmend von kritischer Infrastruktur im Weltraum abhängig. Satellitennetzwerke sind zur Achillesferse moderner Gesellschaften geworden. Satelliten können gestört, geblendet, manipuliert und kinetisch zerstört werden. Russland hat nicht nur wenige Stunden vor seinem Angriff auf die Ukraine deren Satellitenkommunikation ausgeschaltet, sondern wenige Wochen zuvor durch die kinetische Zerstörung eines eigenen Satelliten gezeigt, dass es auch über diese Fähigkeit verfügt. Dabei hat Moskau billigend in Kauf genommen, das Leben der ISS-Besatzung einschließlich eines eigenen Kosmonauten zu gefährden. Russische Aktivitäten richten sich inzwischen direkt gegen Teile der europäischen Weltrauminfrastruktur. So hat Moskau Aufklärungssatelliten in unmittelbarer Nähe von Systemen der Bundeswehr und westlicher Staaten positioniert und verfolgt IntelSat-Satelliten, die auch von der Bundeswehr genutzt werden. „Das russische Verhalten“, so der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, „ist auch und gerade im Weltraum, eine fundamentale Bedrohung für uns alle. Eine Bedrohung, die wir nicht länger ignorieren dürfen.“
Raumfahrt ist grundsätzlich dual nutzbar. So sind Wetterdaten sowohl für die Landwirtschaft als auch für das Militär von hohem Wert. Und dieses gilt auch für viele andere Daten und Fähigkeiten. Die Weltrauminfrastruktur ist zugleich in hohem Maße verwundbar und muss daher – so gut es geht – geschützt werden. Dazu bedarf es u.a. der Härtung von Satelliten und des Aufbaus von Redundanzen und der Fähigkeit, verlorene Infrastruktur schnell und autonom zu ersetzen. Da die nachhaltige Funktionstüchtigkeit der kritischen Weltrauminfrastruktur dadurch aber nur bedingt gesichert werden kann, müssen Angriffe durch eine glaubhafte Abschreckung verhindert werden. Dazu gehören dann auch offensive Fähigkeiten.
Mehr Geld, mehr Strategie für die Aufholjagd
Zu den Schwächen Europas gehört die Finanzierung, die weltweit nach wie vor zu 85 Prozent aus öffentlichen Kassen stammt. Auch SpaceX erhält den Großteil seiner Aufträge von der NASA und dem Pentagon. Während Europa bisher gerade einmal 0,07 Prozent seines BIP, d.h. etwa 14 Mrd. Euro pro Jahr für seine Raumfahrtaktivitäten ausgibt, investieren die USA etwa das Fünffache. Auch zwischen den europäischen Nationen gibt es deutliche Unterschiede. So setzt Deutschland bisher nur halb so viel Mittel ein wie Frankreich, das auch deshalb die führende Raumfahrtnation Europas ist. Mit der im November 2025 veröffentlichten und gemeinsam vom Auswärtigen Amt und dem Bundesverteidigungsministerium erarbeiteten Weltraumsicherheitsstrategie schließt Berlin eine strategische Lücke, denn andere Staaten – u.a. USA, Frankreich, Großbritannien und Spanien – haben bereits seit einigen Jahren eigene Strategien für Sicherheit und Verteidigung im Weltraum.
Die Strategie schafft nun erstmals eine Grundlage für eine gesamtstaatliche Weltraumsicherheitsarchitektur mit den Zielen Schutz der Weltrauminfrastruktur, Stärkung ihrer Resilienz und Aufbau der Verteidigungsfähigkeit im All. Im Zentrum stehen der Schutz deutscher Satelliten und Bodensegmente, der Ausbau der Weltraumüberwachung, eine sichere Kommunikation sowie Fähigkeiten zur Abschreckung von Angriffen im und aus dem Weltraum. Die Strategie zielt darauf ab, eine starke deutsche Säule in NATO und EU aufzubauen und die Zusammenarbeit mit Partnern zu intensivieren. Zugleich sollen die geplanten Investitionen auch die deutsche und europäische Raumfahrtindustrie stärken. Bis 2030 sind bis zu 45 Milliarden Euro für weltraumrelevante Vorhaben geplant – rund 35 Milliarden Euro aus Verteidigungsministerium sowie rund 10 Milliarden Euro aus anderen Ressorts, darunter dem Forschungsministerium, das die Raumfahrt nun auch im Namen trägt.
Ein entsprechendes Signal auf europäischer Ebene ist von der ESA-Ministerratskonferenz ausgegangen, die am 26./27. November in Bremen stattgefunden hat. Dort haben die 23 Mitgliedsstaaten der ESA zentrale Weichen für Europas Rolle im All gestellt: finanziell, technologisch und politisch: Mit 22,1 Milliarden Euro erhält die Raumfahrtagentur das bislang höchste Dreijahresbudget. Deutschland hat seinen Beitrag um fast 30 Prozent auf 5,1 Milliarden Euro erhöht und bleibt damit größter Beitragszahler. Nahezu alle vorgeschlagenen Projekte des Generaldirektors wurden bewilligt einschließlich des „European Resilience from Space“- Programms. Mit dem ERS-Programm erhält die ESA explizit ein Mandat für Sicherheit und Verteidigung, denn die dafür vorgesehenen Satelliten sollen vor allem militärische Aufklärungsdaten liefern.
Raumfahrt ist ein Schlüssel für Deutschlands und Europas Zukunft – sie stärkt branchenübergreifend unsere Industrie, sichert technologische Souveränität, eröffnet neue Geschäftsmodelle und leistet einen wachsenden Beitrag zu unserer Sicherheit.

Der Autor Heinrich Kreft war u.a. Botschafter in Luxemburg, ist Präsident des Diplomatic Council und Programmdirektor an der Diplomatischen Akademie des Auswärtigen Amts. Er hat gemeinsam mit dem Journalisten Andreas Ripke das Buch "Kampf ums all" geschrieben. Im Februar 2026 kommt ein neues Buch zum Thema, ein Sammelband mit internationalen Autoren zur "Sicherheit im All" (Space Security) im DC Publishing-Verlag heraus. Das Buch erscheint auch auf englisch.