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Warten auf den schlafenden Riesen Deutschland

Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz ist in der Außenpolitik vor allem als politischer Moderator gefragt
May 7, 2025
May 7, 2025

Von Michael Backfisch

Erster Auslandsstopp als Kanzler - Friedrich Merz beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris. Beide Länder wollen enger zusammenarbeiten, auch bei der Rüstung (Quelle: x.com/bundeskanzler

Friedrich Merz (CDU) hatte im Wahlkampf zwei große Versprechen abgegeben: „Politikwechsel“ und „Stimmungswechsel“. Der Fehlschlag beim ersten Durchgang der Kanzlerwahl macht deutlich, dass beides mühsam werden könnte. 18 Bundestagsabgeordnete aus der schwarz-roten Koalition, die nicht für Merz votiert haben, sind ein Menetekel: Deutschlands Regierungschef kann sich bei seinen politischen Vorgaben nicht hundertprozentig auf eine Mehrheit verlassen. Auch wenn Merz & Co. das Ganze als Petitesse kleinzureden versuchen, mit dem Wahldämpfer ist auch das psychologisch wichtige Signal für einen Aufbruch eingetrübt.

Dabei hofft Europa, dass Deutschland möglichst schnell zu seiner alten Rolle als politischer und wirtschaftlicher Anker der Stabilität zurückfindet. Angesichts der Kaskade an Krisen und Kriegen wäre dies nötig wie nie: US-Präsident Donald Trump wendet sich von Europa ab und bedroht Freund und Feind mit der Zollkeule. Im Ukraine-Krieg ist kein Ende in Sicht. Kremlchef Wladimir Putin hat die Wirtschaft seines Landes auf Kriegsproduktion getrimmt. Im Gazastreifen wütet eine humanitäre Katastrophe. Der Atomstreit mit dem Iran kann gefährlich eskalieren. Der Konflikt zwischen China und Taiwan ist eine politische Zeitbombe.

Nach dem unrühmlichen Ende der Ampelkoalition verfiel die deutsche Außenpolitik in einen Stand-by-Modus minimalistischer Geschäftsmäßigkeit. Nun wartet die Welt darauf, dass der schlafende Riese Deutschland erwacht. Merz hat zumindest symbolisch zwei bedeutende Akzente gesetzt: Die ersten Auslandsreisen nach Frankreich und Polen sind richtig, weil sie zwei wichtige Pole in der EU verbinden.

Es hilft zumindest, dass die Chemie zwischen Merz und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu stimmen scheint. Zu lange hat Berlin die – wenn auch gelegentlich etwas überambitionierten – Europa-Vorstöße Macrons ignoriert. Aber angesichts der bizarren Annäherung zwischen Trump und Putin ist der deutsch-französische Schulterschluss in der EU zwingend notwendig. Der Kanzler wird gleichwohl die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass die Mühen der Regierungsebene etwas anderes sind als die wohlklingenden Ankündigungen des Wahlkämpfers.

So will Macron eine gemeinsame EU-Schuldenaufnahme, um die europäische Verteidigung voranzubringen. In der CDU ist die Bereitschaft hierzu allerdings noch weniger ausgeprägt als in der SPD. Auch blockiert Frankreich bislang das von der EU geschlossene Handelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten. Der Vertrag soll unter anderem den Export von Autos, Maschinen und Pharmaprodukten erleichtern, was vor allem der deutschen Industrie nutzen würde. Die französische Landwirtschaft fürchtet hingegen den Import von billigerem Fleisch, Honig und Soja aus Südamerika.

Mit Blick auf Polen droht Merz ein Streitpunkt in der Migrationspolitik. Er war vor wenigen Monaten mit der Forderung vorgeprescht, illegale Einwanderer an der Grenze zurückzuweisen. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk übte scharfe Kritik an dem Plan.

Um diese unterschiedlichen Interessen zu entschärfen und bestenfalls unter einen Hut zu bekommen, muss Merz viel Überzeugungsarbeit leisten. Es braucht hierfür die Fähigkeit des Moderators und politischen Chefwerbers in eigener Sache. Es sind Eigenschaften, die Merz als Oppositionspolitiker nicht zeigen musste, aber die in der Regierungsposition unerlässlich sind. Der Ernst der geopolitischen Lage erfordert ein handlungsfähiges Deutschland.