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Wadephul: Nichts rechtfertigt Russlands barbarischen Krieg

Außenminister Johann Wadephul über die Frage, ob der Frieden noch zu retten ist - aus Anlass der neuen Friedensdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland
November 15, 2025
November 14, 2025
Außenminister Johann Wadephul (CDU) – selbst Protestant – sprach In der Evangelischen Akademie zu Berlin über Krieg und Frieden (Foto: Dometeit)

Für Russlands Angriff auf die Ukraine gibt es nach Ansicht von Außenminister Johann Wadephul keinerlei Rechtfertigung. Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass der Westen Russland oder der Sowjetunion Anlass zur Sorge um die eigene Sicherheit gegeben habe, sei ein Präventivkrieg gegen die Ukraine nicht nachvollziehbar, sagte Wadephul bei einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche Deutschlands anlässlich der Veröffentlichung einer neuen Friedensdenkschrift in dieser Woche. Russland sehe das ja offenbar ebenso, sonst würde es den Angriff nicht mit der „abenteuerlichen Erklärung“ begründen, ein faschistisches Regime beseitigen zu wollen, an deren Spitze mit Präsident Wolodymyr Selenskij ein Jude stehe. Er sei gerne bereit, darüber zu diskutieren, was man tun könne oder ob in der Vergangenheit Verständigungsmöglichkeiten versäumt worden seien, aber all das rechtfertige nicht „diesen barbarischen Krieg“. „Wir haben jede ethische Berechtigung und Verpflichtung, an der Seite der Ukraine zu stehen.“

Der Ukrainekonflikt selbst wird in diesem Zusammenhang nicht direkt in der EKD-Denkschrift genannt, die gleichwohl angesichts einer „Welt in Unordnung“ die Positionen des Grundlagenpapiers von 2007 neu akzentuiert. In der neuen Denkschrift heißt es, dass es keine generelle ethische Pflicht zur Nothilfe durch Waffenlieferungen gebe, es müsse der Einzelfall abgewogen werden. Das Beistandsargument könne auch für politische Zwecke missbraucht werden. Die Entscheidungen für Rüstungsexporte müssten sich auch daran messen lassen, ob die Eskalation von Gewalt vermieden werde. Er wisse, so Wadephul,dass diese Frage in der EKD kontrovers diskutiert werde.  Aber kaum irgendwo seien seiner Meinung nach die Kriterien für eine Unterstützung wohl so klar erfüllt wie in der Ukraine.

Auf den konkreten Fall sei man nicht eingegangen, so die EKD-Vorsitzende Kirsten Fehrs, um den modellhaften Charakter der friedensethischen Aussagen nicht zu verlieren. Stärker als bisher würden aber Friedensethik und Sicherheitspolitik zusammengedacht. Leitlinie aller Überlegungen ist ein gerechter Friede, der mehr als die Abwesenheit von Krieg sei, zu dem ebenso der Schutz vor Gewalt, die Förderung von Freiheit, der Abbau von Ungleichheit und der Umgang mit Pluralität gehören.

Das Militärische müsse sich auch immer an seinen Zielen messen lassen, betonte Reiner Anselm, Professor für systematische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Vorsitzender des Redaktionsteams der neuen Denkschrift. Gegengewalt könne nur die Ultima Ratio sein, wenn alle anderen Mittel ausgeschöpft seien. Allerdings spricht die Denkschrift ausdrücklich auch davon, dass ein Staat zum Schutz seiner Bürger sowohl aus völkerrechtlicher als auch theologisch-ethischer Perspektive ein Recht auf Selbstverteidigung habe. Eine Wehrpflicht, so Anselm zum derzeit in Deutschland heftig diskutierten Thema, solle es jedoch nur geben, wenn der Schutz des Gemeinwesens freiwillig nicht mehr gewahrt werden könne. Die Denkschrift regt dazu eine gesellschaftliche Debatte an.

Die EKD spricht sich für ein klares ethisches Nein zu Atomwaffen aus, räumt aber ein Dilemma ein, weil der Verzicht darauf für einzelne Staaten eine schwere Bedrohung bedeuten könne. So sei beispielsweise ein Nein der Europäer zur nuklearen Teilhabe derzeit kaum vertretbar, so Anselm. Gleichwohl bleibe die Vision der Atomwaffenfreiheit bestehen, die Nato sollte dahingehende Initiativen entwickeln.

Auf die Frage, ob der Friede noch zu retten sei, antwortete Wadephul mit einem klaren Ja. Die Zuversicht, etwas bewegen zu können, gehöre zum Verständnis von Politik dazu. „Krieg ist nie eine Zwangsläufigkeit.“ Allerdings unterscheide die russische Doktrin nicht mehr zwischen Krieg und Frieden – wenn man die Vorfälle der jüngsten Zeit betrachte, darunter Drohnen über Polen, Sabotageakte, Desinformation. Der hybriden Kriegsführung widmet sich auch die Denkschrift, zivilgesellschaftliche Resilienz wird dort neben der Verteidigungsfähigkeit als eine zentrale Aufgabe präventiver Friedenspolitik betrachtet. Laut den deutschen Sicherheitsbehörden, sagte Wadephul, sei Russland bis 2029 zur Führung eines großflächigen Angriffs auf die Nato fähig. Die diplomatischen Bemühungen würden verstärkt, aber sie könnten auch scheitern, weil das heutige Russland auf diese Weise kaum noch erreichbar sei. Für Russlands Präsident Wladimir Putin gebe es keine Gerechtigkeit und keine Pluralitä, sondern im Falle der Ukraine nur Unterwerfung und Assimililation in die russische „Mir“ (Welt).  

gd