
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird am morgigen Donnerstag bei seinem Antrittsbesuch in der Türkei Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan treffen. Es dürfte eine der wichtigsten Reisen im ersten Amtsjahr des Kanzlers werden. Die Türkei hat sowohl im Gaza-Konflikt als auch im Russland-Ukraine-Krieg in den vergangenen Jahren eine wichtige Vermittlerrolle eingenommen. Das Land ist zudem ein wichtiger Partner an der Südostflanke der Nato. Für die Türkei ist Deutschland der wichtigste Handelspartner innerhalb der EU und ein bedeutender Investor. Von 220 Milliarden Dollar Handelsvolumen mit der EU entfielen auf Deutschland 50 Milliarden Dollar und künftig voraussichtlich 60 Milliarden Dollar, betonte der türkische Botschafter in Berlin, Gökhan Turan, bei einem Empfang anlässlich des Nationalfeiertages in der Botschaft am Montagabend im Tiergartenviertel der Hauptstadt.
Turan machte deutlich, welche Themen aus türkischer Sicht bei dem ersten Besuch von Kanzler Merz in Ankara im Vordergrund stehen: Sicherheit, Migration und Wirtschaft – vor allem die Zusammenarbeit in der Verteidigungsindustrie sowie die Visaliberalisierung und die Aktualisierung der Zollunion mit der EU. Im Bereich Rüstung verfüge die Türkei über “starke Möglichkeiten und Fähigkeiten”, sagte Turan. Dabei geht es unter anderem um Bayraktar-Drohnen, die sich zu einem Exportschlager entwickelt haben und von denen Ankara mehr verkaufen möchte. Außerdem würde die Türkei gerne vom 150 Milliarden Euro schweren EU-Rüstungsprogramm SAFE profitieren.
Bei der Modernisierung der Zollunion geht es um ein 1995 abgeschlossenes Abkommen, das bislang im wesentlichen nur Industriegüter umfasst und keine Mechanismen zur Streitbeilegung enthält. Die Türkei würde es gerne auf Dienstleistungen ausdehnen. Mittlerweile jahrelange Verhandlungen haben bislang zu keinem Ergebnis geführt. Ankara erwarte dabei die Unterstützung Deutschlands, sagte Turan in seiner Rede. Der Botschafter, der in Duisburg einen Teil seiner Schulzeit verbracht hatte, betonte zugleich das Interesse, sich der EU weiter anzunähern. „Die Türkei ist Teil der europäischen Familie.“ Im Rahmen des EU-Beitrittsprozesses sei die Türkei entschlossen, ihre Ziele umzusetzen.
Allerdings hatte ein deutscher Regierungssprecher vorigen Freitag die deutsche Position zum EU-Betritt der Türkei bekräftigt: „Die Haltung ist unverändert. Die Beitrittsverhandlungen liegen, wie Sie wissen, auf Eis.“ Berlin sehe die Bedeutung der Türkei als strategisch wichtigen Partner und Beitrittskandidaten. Die Türkei ist bereits seit 1999 offiziell Beitrittskandidat, seit 2018 sind die Verhandlungen eingefroren - vor allem wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit und der Unterdrückung der Opposition. So erging gerade ein neuer Haftbefehl gegen den seit Monaten inhaftierten Erdogan-Konkurrenten Ekrem Imamoglu wegen Spionagevorwürfen.
Ob dies allerdings in den Gesprächen zwischen Merz und Erdogan eine Rolle spielen wird, ist fraglich. Beim Treffen wird es nach Angaben des Auswärtigen Amtes um bilaterale und außenpolitische Fragen, um eine engere Zusammenarbeit in der Wirtschaft, bei Migration und Sicherheit gehen. Auch die mögliche Wiederbelebung des EU-Türkei-Migrationsabkommen dürfte besprochen werden.
Die Türkei und Deutschland seien strategische Partner, erklärte Botschafter Turan beim Empfang in Berlin. Beide setzten sich für Frieden, Stabilität und Wohlstand sowie für eine dauerhafte Beendigung des Krieges in Gaza ein und "für eine auf humanitären Werten basierende Ordnung in einer weiten geografischen Region, die von Syrien bis zur Ukraine reicht”. Bei letzterem Thema dürfte sich Merz im Gespräch mit Erdogan für mehr Druck auf Russland aussprechen. Zwar unterstützt das Land die Ukraine seit Beginn des Krieges unter anderem durch Drohnenlieferungen, zugleich bezieht die Türkei aber noch immer große Mengen an Öl und Gas aus Russland.
Anlass des Botschaftsevents am vergangenen Montagabend war der 102. Jahrestag der Proklamation der türkischen Republik. Es war der erste Nationalfeiertagsempfang des neuen türkischen Botschafters in Berlin, der im Januar dieses Jahres sein Amt angetreten hat.
ekö, gd