Kolumne von Ewald König
Historiker werden eines Tages herausfinden, wie viele deutsche Medien über den Krieg und die Realität im Gazastreifen anders berichtet haben als internationale, vor allem angelsächsische Medien. Sie werden herausfinden, wie die Springer-Medien mehr als klassischen Journalismus betrieben, weit mehr als Berichte, Analysen, Kommentare geliefert haben. Die Wissenschaftler werden zu untersuchen haben, welche Kampagnen geführt wurden. Wie umfangreich die publizistische Schützenhilfe für Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine Regierung war. Wie Mediatoren wie Katar mit schärfsten medialen Angriffen angegangen wurden. Und sie werden zu überprüfen haben, wie Kritiker der israelischen Regierung das Gefühl hatten, mit der Antisemitismuskeule mundtot gemacht zu werden.
Sie werden ferner zu untersuchen haben, wie weit Springer-Medien dazu beigetragen haben, dass viele Politiker, Wissenschaftler, Künstler und Journalisten ihre Meinung nicht öffentlich zu äußern wagten. Sie fürchteten, bei Kritik am Vorgehen Netanjahus als Antisemit angeprangert zu werden. Sie fürchteten das aus gutem Grund.
Den Historikern wird sicherlich auffallen, wie Springer-Medien reagiert haben, als Katar für seine Vermittlungsarbeit gelobt wurde, sei es von US-Präsident Donald Trump oder von Bundeskanzler Friedrich Merz. Über den Golfstaat Katar durfte nichts Positives in der Zeitung stehen.
Welt und Bild hatten Katar schon vor der erfolgreichen Vermittlungsarbeit im Gazakrieg im Visier. Das war besonders auffällig, nachdem Merz in seiner Sommerpressekonferenz dem Emirat für die Unterstützung bei der Abschiebung krimineller Afghanen ausdrücklich gedankt hatte. Da reagierte die Welt mit einem verheerenden Artikel über Katar. Welt und Bild wechselten einander in der Anti-Katar-Kampagne ab. Katar wurde als weltgrößter Motor des Antisemitismus und als größter Terrorfinanzier weltweit dargestellt.
Analysten waren im Herbst 2025 einhellig der Ansicht, dass der israelische Angriff auf Katars Hauptstadt Doha und der Versuch, die Hamas-Führer während der Verhandlungen zu töten, die Wende gebracht habe. Washington war verstimmt, weil es zu spät informiert wurde, und als Netanjahu einen weiteren Angriff auf Doha ankündigte, war das sogar für Donald Trump zu viel. Der US-Präsident gab Katar eine Schutzgarantie und brachte den israelischen Regierungschef sogar dazu, sich bei Katar zu entschuldigen und dem Emir schriftlich zu bestätigen, dass kein weiterer Angriff auf Katar geplant sei und dass Israel den Emir ausdrücklich um Fortsetzung der Mediationstätigkeit ersuche.
Die Historiker werden entdecken, dass es einzig die Springer-Presse umgekehrt sah. Nicht Netanjahu habe mit dem Doha-Anschlag den Bogen überspannt und Trump zum Umdenken gebracht, sondern der Anschlag sei Anlass für den Golfstaat gewesen, von der Hamas abzurücken.
Die Wahrheit ist indes, dass sich Katar nach dem Raketenanschlag so desavouiert sah, dass es sich aus der Mediation sogar komplett zurückziehen wollte. Vermitteln ist generell ein undankbares Geschäft. Mediatoren laufen beim Scheitern Gefahr, von beiden Seiten der Parteilichkeit beschuldigt zu werden. Sie müssen Desinformationen über sich ergehen lassen. Trump konnte also gerade noch verhindern, dass die Kataris hinschmeißen.
Die überwiegende Mehrheit der freigelassenen Geiseln wurde in zweijähriger zäher Vermittlungsarbeit Katars befreit. Springer-Medien halten das Narrativ aufrecht, Katar finanziere die Hamas und gewähre deren Führern in Doha ein luxuriöses Leben. Längst widerlegte Vorwürfe, immer wieder aufgewärmt. Klarstellungen von katarischer Seite wurden im Hause Springer konsequent ignoriert, etwa dass jegliche finanzielle Gaza-Unterstützung bis auf den Cent genau von Israel kontrolliert und von den Vereinten Nationen koordiniert werde. Oder dass das politische Büro der Hamas in Doha nicht aus Sympathie, sondern auf ausdrücklichen Wunsch der USA eröffnet worden sei, um indirekte Kommunikationskanäle offen zu halten.
Im jüngsten Podcast seines Verlags überraschte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner jedoch mit einer Kehrtwende. Plötzlich hielt er Katar beim Gaza-Deal für ganz wichtig, diplomatisch sowie finanziell. Ganz ohne Kritik und ohne Vorwurf. Späte Einsicht? Anderer Prügelknabe, nämlich die unfähigen Europäer? Die Historiker werden hoffentlich herausfinden, was da im September und Oktober 2025 im Hause Springer gelaufen ist.