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Von dunklen Momenten, großen Erfolgen und dem Einfluss der Eltern

"Auf meinem Posten": Ex-Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg legt seine Erinnerungen als Chef der Allianz vor und verspricht größtmögliche Transparenz und Offenheit
October 18, 2025
October 18, 2025
Jens Stoltenberg gab 2024 sein Amt als Nato-Generalsekretär auf. Jetzt hat er ein Buch über seine zehn "dramatischen" Jahre in diesem Job geschrieben: "Auf meinem Posten", auf Deutsch erschienen im Siedler Verlag/"On My watch" auf englisch bei Harper Collins (Foto: Dometeit)

Der frühere Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat den Rückzug aus Afghanistan im Jahr 2021 als größte Niederlage der westlichen Allianz bezeichnet. „Wir haben Menschen, die an die Demokratie glaubten, einfach allein gelassen“, sagte Stoltenberg auf der Frankfurter Buchmesse anlässlich der Vorstellung seines Buches „Auf meinem Posten“. Das Buch, das zeitgleich unter dem Titel „On my watch“ auch auf Englisch erschienen ist, beschreibt die Erinnerungen des Norwegers als Nato-Chef von 2014 bis 2024, zehn „dramatische  Jahre der westlichen Allianz“, in die auch die Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 fiel.

„Es war der dunkelste Moment in meiner Amtszeit“, so Stoltenberg. Obwohl Europa zuvor die gleichen geheimdienstlichen Informationen wie die Amerikaner gehabt habe, habe dort niemand daran geglaubt, dass Russland wirklich einmarschieren würde. Die Europäer hätten einfach gehofft, dass es nicht passieren würde oder die Pläne sich änderten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel habe aus ihren Beobachtungen keine Konsequenzen gezogen.

„Nach dem Kalten Krieg haben wir alle an ein besseres Verhältnis zu Russland geglaubt.“  Dass Deutschland nach den Auseinandersetzungen in Georgien 2008 und der Krim-Besetzung 2014 keine andere Haltung gegenüber Russland eingenommen und mehr für Verteidigung ausgegeben habe, erklärte Stoltenberg unter anderem mit wirtschaftlichen Interessen aber ebenso mit geschichtlichen Erfahrungen. „Deutschland glaubt an den Frieden.“  Er zeigte sich zudem überzeugt, dass eine frühere und stärkere militärische Unterstützung der Ukraine durch die Nato den Ausbruch eines Krieges hätte verhindern können. Zumindest würde das Land, betonte Stoltenberg, heute mehr Territorium kontrollieren. „Aber nach 2014 hatten wir zuviel Angst vor einer Eskalation.“ Trotzdem plädierte er dafür, wieder mit Russland zu reden, allerdings nur auf der Basis von Stärke und nicht ohne Einbeziehung der Ukraine. Schließlich sein man sogar im Kalten Krieg zu Gesprächen in der Lage gewesen, Russland sei ein Nachbar mit langen Grenzen gerade zu Nordeuropa.

In seinem Buch, versicherte der 66-Jährige, habe er versucht, so offen und transparent wie möglich zu sein, zu zeigen, wie Entscheidungen innerhalb der Nato gefällt wurden, ihre Erfolge und Stärken, aber auch ihre Niederlagen und Schwächen zu beschreiben. Grenzen habe es nur dort gegeben, wo militärische Geheimnisse berührt waren oder die Fehler von anderen. „Ich beschreibe meine eigenen Fehler.“  

Stoltenbergs Erinnerungen stellte der Vorstandsvorsitzende des Springer Verlages, Mathias Döpfner, vor. Er nannte sie sehr persönlich und inspirierend. So beschreibt Stoltenberg die Reaktionen seiner Frau Ingrid auf die Verlängerung seiner Amtszeit als Nato-Generalsekretär oder die politische Prägung durch seine Eltern, die überzeugte Sozialdemokraten waren und beide hohe Regierungsposten inne hatten. Der Vater, Thorvald Stoltenberg, diente unter anderem als Außen-und Verteidigungsminister. Die Eltern waren es wohl auch, die ihn nach einer Phase des Protestes gegen die Nato in seiner Jugend eines anderen belehrten. Gleichwohl warnte der Vater ihn bei Übernahme des Nato-Generalsekretär-Jobs, dass der total langweilig sei, weil dort nie etwas passiere. Tatsächlich habe er dann die größte Stärkung der Allianz in Jahrzehnten erlebt. "Wer auch immer mir im Januar 2022 erzählt hätte, dass Schweden der Nato beitreten würde - ich hätte es nicht geglaubt."

Jens Stoltenberg trat in die Fußstapfen seiner Familie und machte sehr früh politische Karriere in Norwegen, von 2005 bis 2013 war er ein äußerst populärer Ministerpräsident. Sein Amt als  designierter Chef der Münchner Sicherheitskonferenz ruht derzeit, weil er als Finanzminister in die aktuelle norwegische Regierung berufen wurde. Der Job, räumte er ein, habe immer an erster Stelle gestanden – vor dem Familienleben. gd