Suchen

diplo.news

news & views

"Diplomaten ärgern sich nie ...

Der ehemalige deutsche Botschafter in Japan und China, Volker Stanzel, über die neue Diplomatie des Dschungels
May 26, 2025
May 26, 2025

Von Volker Stanzel, Berlin

Sternstunde der Diplomatie: Beim Wiener Kongress 1815 spielten der Franzose Talleyrand und der österreichische Außenminister Metternich entscheidende Rollen bei der Neugestaltung der europäischen Friedensordnung (Foto: actualisation.media)

... , sie machen sich Notizen“, sagte der französische Staatsmann Charles Maurice de Talleyrand bekanntlich, und so haben die folgenden Bemerkungen den Status von Notizen in Talleyrands Sinne.

 

In chinesischen Zeitungen macht derzeit ein Begriff für den amerikanischen Präsidenten Donald Trump die Runde: „Massenvernichtungswaffe“. Die Folgen seiner Politik, egal in welchem ​​Bereich, werden als so verheerend eingeschätzt, dass bisher verlässliche Parameter nicht mehr verlässlich erscheinen. Sie würden wie sonst nur durch eine Massenvernichtungswaffe gefährdet. Das ist zwar übertrieben, legt aber den Finger in eine große, schmerzhafte Wunde: die unheimliche und bedrohlich wirkende Unberechenbarkeit des amerikanischen Präsidenten. Hinzu kommt seine Entschlossenheit, Fakten zu schaffen – egal in welchem ​​Bereich, egal wie und egal, letztlich sogar ohne über die Folgen seiner spontanen Schikanen in der realen Welt nachzudenken. Diplomatie ist einer der vielen Bereiche, in denen Donald Trump eine so zerstörerische Wirkung entfaltet. Und das in doppeltem Maße. Dies sind also möglicherweise einführende Gedanken zur Diplomatie der Zukunft – unter Berücksichtigung der neuen Gefahren, die der amerikanische Präsident geschaffen hat.

 

Erstens: Donald Trump entzieht die Diplomatie seines Landes den Profis. Außenminister Rubio scheint seine Politik so willkürlich zu gestalten, wie der Präsident es wünscht, ohne Rücksicht auf Ratschläge seiner eigenen Organisation. Bestes Beispiel ist Rubios Verhalten in der Ukraine-Krise. Von ihm gehen keine Initiativen aus, nicht einmal aufschlussreiche Erklärungen. Er beschränkt sich und sein gesamtes Ministerium darauf, Trumps Äußerungen zu loben. Das bedeutet aber auch, dass Rubio den gesamten diplomatischen Apparat nicht so nutzt, wie es ein Profi tun sollte: Um nach Lösungen für schwierige Probleme zu suchen. Im Gegenteil, er folgt der Anweisung des Präsidenten, das Außenministerium personell auszutrocknen. Der Grund dafür könnte sein, dass dann eine große Zahl von Leuten rekrutiert werden, die in Trumps politischer Linie denken. Das bleibt abzuwarten. Natürlich kann frischer Wind auch den Personalstrukturen jeder Bürokratie guttun. Doch hier wird die Diplomatie von den Launen einer unberechenbaren Persönlichkeit abhängig gemacht, die letztlich mit dem Leben zahlloser Unbeteiligter in fernen Teilen der Welt spielt, mit Risiken, die keineswegs unbekannt sind. Es ist zudem ein Verhalten, dem sich niemand zu widersetzen wagt. Auf die Ursachen dieser Entwicklung in der amerikanischen Diplomatie muss man nicht näher eingehen, denn die Folgen allein sind dramatisch genug.

 

Amerikas Stärke liegt in dem Bündnissystem, das es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt und aufgebaut hat und das weitgehend auf gemeinsamen Werten beruht. Die USA spielten die zentrale und letztlich trotz aller Probleme willkommene Führungsrolle; man sprach zwar gerne etwas gehässig über die USA als Polizisten, atmete aber letztlich auf, wenn sie sich an die Lösung von Problemen machten (die zugegebenermaßen zu eigenen Dramen führten: Chile, Iran, Vietnam, Irak, Afghanistan …). Werden Bündnisse unzuverlässig, fehlt dem Bündnis die Dynamik. Drohungen, Bündnispartnern – wie Kanada – ihre Unabhängigkeit zu entziehen oder zumindest Teile ihres Landes zu besetzen – wie in Grönland, wie in Panama – führten zu einer rapiden Zunahme der Unsicherheit innerhalb des Bündnisses. Und erst recht außerhalb des Bündnisses, denn auch dort hatte man sich an den Sheriff gewöhnt, im Guten wie im Schlechten. Doch nun, da die Europäer hoffentlich untereinander die Grundlagen für eine wirksame Diplomatie legen, wird es eine globale, fehleranfällige Diplomatie ohne das (noch) stärkste Land der Welt sein.

 

Zweitens: Diplomatie ohne die USA ist nur ein Symptom des wahren Dramas. Dahinter steckt die Zerstörung der internationalen Ordnung, die von der neuen amerikanischen Regierung vorangetrieben wird. Diese Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg von den fünf Gründungsmitgliedern der UNO geschaffen wurde, ist keineswegs makellos. Sie verkörpert aber den Konsens aller Staaten der Welt, ihre Probleme gemeinsam im Rahmen der zu diesem Zweck geschaffenen Institutionen und gemäß den dafür vorgesehenen Rechtsnormen zu lösen. Es ist der Multilateralismus, der nun in eklatanter Gefahr ist. Es ist verlockend, stattdessen von Multipolarität zu sprechen. Aber man muss wissen, was man damit meint. Es ist völlig verständlich, wenn Staaten, die – dank ebendieses internationalen Systems! – neue Stärke gewonnen haben, diese auch nutzen wollen. Sie verfügen nun über mehr Einfluss und Durchsetzungsvermögen.

 

Alte Wegweiser sind nicht mehr gültig

Eine Welt mit vielen solchen „Polen“, mit vielen solchen selbstbewussten Staaten, ist eine Welt, die wir gut kennen. Aus den Geschichtsbüchern. Es ist die Welt, in der Macht zum Recht wird und in der sich kleinere Staaten vergeblich auf Rechtsprinzipien berufen, während größere Staaten ihr Verhalten zum neuen „Gesetz“ erklären. Es ist eine Welt, in der, wie der US-Politikberater Robert Kagan sagte, der Dschungel zurückkehrt. Wir selbst kehren in die Welt der vormodernen diplomatischen Zivilisation zurück. Natürlich haben wir diesen Trend schon vor Donald Trump beobachtet. Aber Trump treibt ihn durch amerikanisches Verhalten voran: die Entlegalisierung der Welt. Es ist fast ein Experiment, um herauszufinden, ob die moderne Diplomatie damit besser zurechtkommt als die der vergangenen Jahrtausende, in denen Krieg letztlich immer die „Lösung“ für Probleme war.

 

Dabei sind wir neuerdings auf eine Kuriosität gestoßen, die die Sache auch für uns Beobachter einigermaßen spannend macht. Die Weltmacht, die das bisherige System stets vehement bekämpft hat, nämlich China, die darüber klagte, dass die internationale Ordnung den Hegemonialambitionen insbesondere der USA diene - dieses China meldet sich plötzlich zu Wort – nicht zufällig, sondern als Reaktion auf Trumps Verhalten. Dieses Land, bis hinauf zu seinem obersten Führer, spricht plötzlich unaufhörlich von den Vorzügen des Multilateralismus, die es nun zu verteidigen gelte. Es spricht von der internationalen Ordnung, die es zu bewahren gelte. Eine interessante Entwicklung. Nun, wenn jemand vom Saulus zum Paulus wird, dann ist es in Fällen wie diesem keineswegs unvernünftig, ihn zu unterstützen. Diplomatie in der Welt des Dschungels.

 

Zunächst ist dies, wie bereits erwähnt, ein sehr verständliches Verhalten. Viele Staaten werden jedoch bald erkennen, dass das, was bisher als verlässlicher Wegweiser galt, nicht mehr gültig ist. Für Europa ist es glücklicherweise noch einfach. Es ist auch einfach, selbst wenn wir über die Europäische Union hinaus auf Länder wie Großbritannien oder Norwegen blicken. Die europäischen Staaten können die Welt des Multilateralismus untereinander aus gutem Grund am Leben erhalten, denn sie bringt ihnen die bekannten Vorteile. Gleichzeitig können sie außerhalb Europas nach Verbündeten suchen – wer weiß, ob China unter den neuen Bedingungen nicht sogar eine Option wäre! Andere hingegen, die plötzlich die hässliche Seite der Dschungelwelt sehen: Es gibt nicht nur Orchideen und Schmetterlinge! – werden möglicherweise ähnliche Prozesse durchlaufen, wie sie sich jetzt offenbar in China abzeichnen.

Die moderne Diplomatie muss daher verteidigen, worum es in der Diplomatie geht. Aber unter den neuen Umständen muss sie zu einer Schutzmacht werden. Einer Schutzmacht für das, was wir traditionell bisher unter Diplomatie verstanden haben.

 

Volker Stanzel leitete die deutschen Botschaften in Tokio von 2009 bis 2013 und in Peking von 2004 bis 2007, war zudem Politischer Direktor des Auswärtigen Amts. Heute arbeitet er u.a. als Gastwissenschaftler an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. 2019 gab er das Buch "Die neue Wirklichkeit der Außenpolitik - Diplomatie im 21. Jahrhundert" heraus (Foto: SWP)