Kolumne von Ewald König
Diese Zeilen sollen keine Anklage von Konsulatsbeamten sein. Die sind um ihren Job definitiv nicht zu beneiden. Aber die generelle deutsche Haltung, wenn es um die Erteilung von Visa für ausländische Besucher in unserem Land geht, ist sehr wohl anzuklagen. Die ist nämlich durch das Motto gekennzeichnet: Wir brauchen euch nicht. Wir wollen euch nicht. Schon gar nicht wollen wir euch sehen. Visum kommt aber vom lateinischen videre, also: sehen.
diplo.news hat viel mit Botschaftern zu tun. Wir hören immer wieder von Problemen, von nicht nachvollziehbaren Entscheidungen mit haarsträubenden persönlichen Folgen.
Soeben erzählte mir ein zentralasiatischer Botschafter, er verbringe schon seine halbe Arbeitszeit mit Visafragen, obwohl dies gar nicht seine Aufgabe sei. Immer wieder müsse er intervenieren, je nach Lage im Bundeskanzleramt vorsprechen oder im Außen- oder im Innenministerium. Seinen Gesprächspartnern sind die Zustände zwar bestens bekannt, sie nicken verständnisvoll, können aber in den meisten Fällen auch nichts ausrichten.
Den Schaden haben nicht nur die Antragssteller im Ausland. Den Schaden hat auch Deutschland selbst.
Beispiele gefällig? Ein indisches Restaurant in Berlin-Mitte mit einem monatlichen Umsatz von 300 000 Euro – also 10 000 Euro pro Tag – und dementsprechend hohen Steuerzahlungen engagierte einen indischen Chefkoch. Die Ablehnung seines Sichtvermerks war für das Restaurant katastrophal. Die deutschen Konsulatsbeamten rechneten ihm stur nur die paar Jahre Berufserfahrung in Indien an, aber nicht die zwanzig Jahre Berufserfahrung in indischen Restaurants in Dubai. Es fehlten ihm fünf Monate in Indien selbst. Abgelehnt.
Auftritte von Künstlern in ausverkauften Konzertabenden: entfallen, weil kein Visum. Ausländische Studenten verlieren den zugesagten Studienplatz, weil sie das Visum nicht rechtzeitig erhalten. Wissenschaftler verpassen ihre Konferenz, auf der sie vortragen sollten. Messeaussteller verlieren die Standgebühr, weil sie das Visum erst nach der Messe oder gar nicht erhalten. Auch Politiker, sogar im Rang eines stellvertretenden Ministers, laufen Gefahr, abgelehnt zu werden.
Selbstverständlich finden sich immer Paragrafen, mit denen sich die Ablehnungen begründen lassen.
Manche Länder heißen deutsche Staatsbürger für dreimonatige Aufenthalte ohne Visum willkommen. Deutschland indes reagiert darauf nicht mit der gleichen Maßnahme, sondern beharrt auf Visumspflicht.
Zugegeben, es sind viele Antragsteller selbst schuld. Sie kommen zu spät; sie machen widersprüchliche Angaben; sie bleiben Unterlagen schuldig; sie legen falsche oder gefälschte Dokumente vor; sie haben einen negativen Eintrag im Ausländerzentralregister; sie weisen nicht nach, dass sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können; sie begründen nicht schlüssig, dass sie nicht dauerhaft bleiben wollen. Und selbstverständlich sind auch Figuren darunter, die tatsächlich ein Sicherheitsrisiko darstellen.
Unbestritten: Was die Beamten in den ca. 170 Visastellen der deutschen Auslandsvertretungen zu bewältigen haben, ist eindrucksvoll: Sie bearbeiten knapp zwei Millionen Anträge. Tendenz deutlich steigend. Davon werden rund 265 000 abgelehnt. Aber jede einzelne Ablehnung, jede verspätete Erteilung trifft ein individuelles Schicksal, ist nicht nur eine finanzielle Belastung, sondern eine Demütigung, mitunter ein Albtraum.
Die deutsche Praxis ist oft frustrierend und demütigend. Wissenschaftler, die als Redner zu einer Konferenz eingeladen werden, müssen ihre Kontoauszüge offenlegen und zeigen, was sie verdienen. Das Zittern um das Visum, der Verfall des Flugtickets sind eine emotionale Belastung.
Mit diesem Visaregime schadet sich Deutschland selbst massiv. Die Visaregeln gehören überarbeitet. Zumindest für berufliche Reisen, bei denen die Antragsteller zu Konferenzen oder Stipendien eingeladen werden. Mit der Digitalisierung ist es nicht getan. Es geht um die Einstellung und das System.