Suchen

diplo.news

news & views

diplo.news

Prekärer Waffenstillstand

Noch ein Konfliktherd mit Ausweitungspotential: Der Streit der beiden Atommächte Indien und Pakistan wird heftiger - ohne große Aussicht auf eine Dauerlösung
May 14, 2025
May 13, 2025

Von Mubasher Bukhari, Lahore

Pakistan schoss angeblich mehrere indische Kampfjets ab (Foto: x.com/intelshieldpk)

Die jüngste Krise zwischen Indien und Pakistan - beides Nuklearmächte und einander in langer Gegnerschaft verbunden - hat Südasien nah an den Rand einer atomaren Katastrophe gebracht. Sie mündete am vergangenen Samstag in ein Waffenstillstandsabkommen, das die Trump-Regierung eingefädelt hatte. "Nach einer langen Nacht von Gesprächen unter Vermittlung der USA freue ich mich bekanntzugeben, dass Indien und Pakistan einer vollständigen und sofortigen Waffenruhe zugestimmt haben", schrieb US-Präsident Donald Trump auf seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Er gratulierte beiden Regierungen dazu, "gesunden Menschenverstand und große Intelligenz" gezeigt zu haben. Mit der Vermittlungsaktion wich die US-Administration von ihrem Grundsatz ab, nicht mehr überall den Weltpolizisten spielen zu wollen. Aber offenbar verfügte sie über Erkenntnisse, die den Ernst der Lage und die Gefahr eines großen Krieges nahelegten. Das Aufflammen der Spannungen fiel bezeichnenderweise in einen Monat, in dem sich die ersten Atomtests beider Länder von 1998 jähren - der Indiens am 11. Mai und der Pakistans am 28. Mai -, was den Auseinandersetzungen eine besondere symbolische Bedeutung verleiht. Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse und ein Ausblick auf die Zukunft.

Der schwerste Luftkampf in der bilateralen Geschichte

Der neuerliche Streit war durch heftige Kämpfe gekennzeichnet und ebenso durch eine rasche Abfolge von Behauptungen, Gegenbehauptungen und Dementis. Der vorige Dienstag markierte jedoch einen Wendepunkt, der den Konflikt von vielen vorherigen unterschied. So startete Indien zunächst eine groß angelegte Raketenoffensive gegen Einrichtungen im Punjab und im pakistanisch verwalteten Teil Kaschmirs, darunter religiöse Seminare in Muridke, Bahawalpur, Kotli, Muzaffarabad und Bagh. Nach Angaben indischer Behörden wurden bei den Angriffen Terrorcamps der islamistischen Bewegungen Lashkar-e-Taiba, Jaish-e-Mohammed und Hizbul Mujahideen zerstört sowie über 100 Kämpfer getötet. Pakistan widersprach dieser Darstellung und erklärte, die indischen Angriffe hätten stattdessen Moscheen und zivile Wohnhäuser getroffen, wodurch 31 Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet und 43 weitere verletzt worden seien.

In derselben Nacht kam es zum größten Luftkampf in der Geschichte beider Länder, den einige Militäranalysten als „Beyond Visual Range“ (Geschehnisse außerhalb der Sichtweite eines Piloten) bezeichnet haben. Zwischen 70 und 80 indische und 27 bis 30 pakistanische Flugzeuge lieferten sich über Kaschmir ein Gefecht, bei dem sie Ziele aus Entfernungen von mehr als 160 Kilometern beschossen und innerhalb ihres jeweiligen Luftraums blieben, ohne den gegnerischen zu verletzen. Pakistan behauptete, fünf indische Kampfjets, darunter drei französische Rafale, abgeschossen zu haben - Angaben, die Indien bestritt, obwohl auch einige internationale Medien berichteten, dass mindestens drei indische Jets abgeschossen wurden. Nicht nur das Ausmaß dieser Schlacht über dem Himmel Südasiens, bei der auch chinesisches Gerät zum Einsatz kam, war bemerkenswert sondern auch der Einsatz moderner Technologien. Im Trubel anderer globaler Ereignisse ging das zwar unter, internationale Militärstrategen werden das Luftgefecht umso aufmerksamer studieren.

Auch, weil China dabei eine besondere Rolle spielte. "In diesem Krieg hat China ganz besonders große Anstrengungen unternommen, um Pakistan zu unterstützen. Es hat das Land mit Satellitendaten versorgt, um die indischen Bewegungen zu überwachen", sagt ein Sicherheitsexperte. China spielt in Pakistans Wirtschaft und besonders im Rüstungssektor eine entscheidende Rolle. "Pakistan hängt stark von chinesischen Waffen ab. Mehr als 80 Prozent seiner Verteidigung stammt aus China", so heißt es in Sicherheitskreisen Pakistans, die hinter vorgehaltener Hand die Rolle Pekings im indisch-pakistanischen Konflikt thematisieren.

Zwei Tage nach dieser Eskalation schoss Indien Berichten zufolge Dutzende von Drohnen aus israelischer Produktion über pakistanischen Städten ab. Die pakistanische Regierung meldete drei Todesopfer und vier Verletzte, während Indien bekannt gab, mehrere Militäreinrichtungen zerstört zu haben. Die pakistanischen Streitkräfte wiederum erklärten, sie hätten 29 Drohnen sowohl mit Soft- als auch mit Hardkill-Abwehrsystemen abgeschossen. Die Drohnenangriffe drangen tief in pakistanisches Hoheitsgebiet ein und trafen wichtige Städte wie Lahore, Karatschi, Rawalpindi, Chakwal und Sukkur.

In der Nacht zum Samstag feuerten indische Stellungen ballistische Raketen auf wichtige pakistanische Militäreinrichtungen ab. Pakistan schlug zurück, indem es seine Raketensysteme und seine Luftwaffe einsetzte und 11 indische Städte angriff.

Alles begann am 22. April mit einem Attentat im kaschmirischen Ferienort Pahalgam. Indien warf Pakistan vor, hinter dem Terroranschlag zu stecken, bei dem 26 überwiegend indische Touristen starben. Einige Führer der regierenden BJP-Partei behaupteten, die Angreifer hätten es gezielt auf Hindu-Touristen abgesehen und damit Spannungen angeheizt. Delhi kündigte eine rasche und entschlossene Reaktion an, begleitet von einer lautstarken Medienkampagne. Islamabad verurteilte den Anschlag, sprach sein Beileid aus und schlug sogar eine unabhängige Untersuchung vor - ein Angebot, das Indien ablehnte.

Terrorismus als eine Wurzel des Übels

Indien behauptet, in Pakistan ansässige militante, islamistische Organisationen seien für eine Reihe größerer Anschläge auf indischem Boden verantwortlich, darunter den Angriff auf das Parlament 2001, das Taj Mahal Hotel in Mumbai 2008, auf einen Luftwaffenstützpunkt in Pathankot im Punjab 2016, auf indische Polizisten im kaschmirischen Pulwama 2019 und eben das jüngste Massaker in Pahalgam 2025. Dem mächtigen pakistanischen Geheimdienst ISI wirft Delhi vor, die Extremisten im Rahmen einer asymmetrischen Kriegsführungsstrategie, die auf die Destabilisierung von Jammu und Kaschmir abziele, operativ und finanziell zu unterstützen.

Gleichzeitig versuchte Indiens Regierung, den Nachbarn von internationalen Finanzquellen abzuschneiden und ihn auf die sogenannte graue Liste der Financial Action Task Force setzen zu lassen. Dieses Gremium rief einst die G7-Gemeinschaft der Industriestaaten ins Leben, um gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorzugehen. Pakistan bemühte sich daraufhin, Anforderungen der Task Force zu erfüllen, und verhaftete mehrere Anführer extremistischer Gruppen. Was deren Tätigkeit aber offenbar keinen Abbruch tut.

Bei einem kürzlich erfolgten indischen Raketenangriff auf eine Moschee in Bahawalpur wurden Berichten zufolge Verwandte von Mado Azhar, des Gründers der offiziell verbotenen Jaish-e-Mohammed-Gruppierung, sowie vier Geistliche getötet. Als Vergeltung schwor Azhar, der für seine Verbindungen zu den afghanischen Taliban, Al-Qaida und ISIS bekannt ist, Rache. Die pakistanischen Sicherheitskräfte sind in der Vergangenheit hart gegen die Islamisten vorgegangen, insbesondere während des Regimes von General Musharraf, da die Organisation an Terroranschlägen in Pakistan beteiligt war, darunter auch an Attentatsversuchen auf Musharraf selbst. Die Gruppe und ihre Wohltätigkeitsorganisation, der Al-Rehmat Trust, operieren angeblich weiterhin unter religiösem Gewand.

Pakistan bestreitet allerdings vehement, militante Gruppen zu unterstützen, und betont immer wieder, dass es selber eines der größten Opfer des Terrorismus ist und seit 2001 über 80 000 Menschen verloren hat. Es beschuldigt wiederum Indien, den Terrorismus innerhalb Pakistans zu stärken, und verweist auf eine kürzliche Zugentführung, bei der 26 Menschen, darunter Armeeoffiziere, starben.

Kaschmir: Der Kernkonflikt

Geteiltes Kaschmir und Dauerzankapfel zwischen Indien und Pakistan (Foto: Geographic Enigma)

Der eigentliche Ursprung der spannungsgeladenen Beziehungen reicht bis in die britische Kolonialzeit und die Aufteilung des Subkontinents 1947 zurück, als sich das muslimische Pakistan und das überwiegend hinduistische Indien als selbständige Nationalstaaten gründeten. Seitdem war die Region Kaschmir umstritten,  beide Länder führten 1948, 1965 und 1999 Kriege um das Himalaya-Gebiet. Und auch die jüngste Eskalation hängt mit dem ungelösten Status Kaschmirs zusammen.

Indien beansprucht die gesamte Fläche von Jammu und Kaschmir, einschließlich des pakistanischen Nordwestens (Gilgit-Baltistan und Azad Kaschmi), auf der Grundlage einer im Oktober 1947 unterzeichneten Beitrittsurkunde. Pakistan hingegen argumentiert, dass Kaschmir ein mehrheitlich muslimisches Gebiet sei, das 1947 im Rahmen des Teilungsplans Pakistan hätte angegliedert werden sollen. Es lehnt die Beitrittsurkunde als erzwungen und nicht repräsentativ für den Willen der Kaschmiris ab und besteht auf einem von den Vereinten Nationen angeordneten Plebiszit unter Berufung auf eine UN-Resolution von 1948. In hat diese Forderung bisher konsequent ignoriert. Die Vereinten Nationen erkennen Kaschmir als umstrittenes Gebiet an und rufen zu einer friedlichen Lösung durch Dialog auf.

Dass das Gebiet für Pakistan von großer strategischer Bedeutung ist - fünf große Flüsse entspringen dort- macht eine Lösung nicht einfacher. So beschuldigte Pakistan den Nachbarn im aktuellen Streit, den Neelum-Jhelum-Damm im pakistanisch kontrollierten Teil Kaschmirs ins Visier genommen zu haben. Postwendend wies Indien den Vorwurf zurück und gewährte sogar Medien einen Zutritt zum Bauwerk, um ihn zu entkräften. Gleichzeitig setzte Delhi aber den 1960 geschlossenen Indus-Wasservertrag aus, der die Verteilung von Wasser zwischen beiden Ländern regelt. Seit Jahren gibt es dennoch immer wieder Streit um das kostbare Nass, von dem die pakistanische Landwirtschaft im Süden extrem abhängig ist.

Gedämpfte Hoffnungen

Nach den Anschlägen von Mumbai 2008 setzte Indien den Dialog mit Pakistan aus. Die jüngste Erklärung von Präsident Trump, in der er beide Seiten zu Gesprächen aufforderte, ist jedoch ein Hoffnungsschimmer. Pakistan begrüßte die Aussicht auf einen Dialog, insbesondere wenn dieser einen Weg zur Diskussion über die Wiedereinführung von Artikel 370 der indischen Verfassung (der Jammu und Kaschmir weitgehende Autonomie zubilligte) eröffne. Mögliche Ergebnisse künftiger Verhandlungen könnten sein: ein unabhängiger Status für Kaschmir, ein gemeinsames Abkommen, das beiden Ländern die Kontrolle über ihre jeweiligen Regionen einräumt, ein Rahmen für die gemeinsame Nutzung von Wasser, der Stabilität gewährleistet.

Dennoch deuten tiefes Misstrauen auf beiden Seiten, starre nationale Positionen und die Verflechtung von Wasser, Terrorismus und Territorium darauf hin, dass weitere Eskalationen wahrscheinlich sind, wenn es nicht zu einem echten diplomatischen Engagement kommt. Ein neuer Konflikt kann jederzeit ausbrechen, solange die beiden Staaten nicht ihre Kernprobleme einschließlich der Kaschmirfrage und der gegenseitigen Terrorismusvorwürfe, lösen.

Mubasher Bukhari ist Journalist aus Lahore, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab. Er schreibt für pakistanische und internationale Medien und gilt als einer der erfahrensten politischen Beobachter und Autoren in der Region.