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Von der Sauna- zur Golfdiplomatie

Finnlands Botschafter Kai Sauer über seine Erwartungen an die neue Bundesregierung, die Grenze zu Russland und den Einsatz von soft power gegenüber Donald Trump
May 11, 2025
May 9, 2025

Interview von Gudrun Dometeit

Finnische Grenzpolizei patroulliert an der finnisch-russischen Grenze (Quelle: raja.fi)  

Welche Erwartungen haben Sie an die Außenpolitik der neuen Bundesregierung, vor allem in Bezug auf die Ukraine? Wird sich dort etwas ändern?

 

Äußerungen des neuen Bundeskanzlers Friedrich Merz haben Erwartungen geweckt. Deutschland wird sich sicher mehr an einer gemeinsamen europäischen Führung beteiligen. Für Merz ist ein Platz an der Seite von Keir Starmer, Emmanuel Macron und Donald Tusk frei geblieben. Und es geht um konkrete taktische Fragen, ob Deutschland zum Beispiel tatsächlich das Raketenabwehrsystem Taurus liefert oder in welcher Form es sich an der „Koalition der Willigen“ in der Ukraine beteiligt. Auch wird es spannend zu sehen, wie sich das Verhältnis zu den USA entwickelt.

 

Was genau heißt für Sie mehr Führung?

 

Außenpolitik  in Deutschland wie in Finnland besteht ja aus der Erwartung von Kontinuität. Also in großen Teilen wird sich wahrscheinlich wenig ändern. Deutschland bleibt eine der Führungsmächte Europas mit globalen Interessen, zum Beispiel einem Sitz im UN-Sicherheitsrat. Aber nach einer langen Phase, in der es keine politisch voll handlungsfähige Regierung gab, entsteht jetzt wieder neue Dynamik. Gleichzeitig sind Regionen wie der Ostsee-Raum wichtiger geworden, wo es eine intensivere Zusammenarbeit der Anrainer geben wird, in der Wirtschaft, bei Energiefragen, bei Sicherheit im Nato-Rahmen, zum Schutz kritischer Infrastruktur.  

 

Der neue Kanzler hat angedeutet, dass er mit der Lieferung von Taurus weniger Probleme hat als sein Vorgänger Olaf Scholz, der immer auf die Eskalationsgefahr hingewiesen hat. Wie sehen Sie das?   

 

Dazu möchte ich mich nicht äußern, um nicht oberlehrerhaft daherkommen. Aber ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen grundlegenden Unterschied unserer Politik zu der von Deutschland, was die Veröffentlichung der Unterstützung für die Ukraine angeht. In Deutschland - ich habe es überprüft -  findet man auf der Website des Verteidigungsministeriums den ganzen Katalog der Lieferungen, von IRIS-T über Patriots bis zum Zahnarztequipment. Wir in Finnland geben das nicht bekannt. Und die Überlegung dahinter ist, dass wir kein unnötiges Öl in die Wogen gießen wollen. Warum soll man dem Gegner diese Informationen bieten?

 

Wäre eine Lieferung des Taurus aus finnischer Sicht denn richtig?

 

Wir stützen uns auf das Recht der Selbstverteidigung, um einen Angriff zu verhindern oder abzuwehren. Ich will aber nun keine Anweisungen geben, ob man dieses Waffensystem liefern soll oder nicht. Briten und  Franzosen haben allerdings auch keine Probleme damit gehabt, ihre eigenen Langstreckenwaffen zu übergeben.

 

Was verstehen Sie unter einer Koalition der Willigen?  Auch eine Stationierung von Truppen entlang der ukrainisch-russischen Grenze?  

 

Das ist alles noch offen. Erstmal brauchen wir eine Verpflichtung der russischen Seite zu einem Waffenstillstand. Und die ist bisher nicht vorhanden, im Gegenteil. Wenn wir diese Phase erreicht haben, kann man über die Modalitäten sprechen, die einen Waffenstillstand garantieren, über die Rolle der westlichen Staaten wie auch einer breiteren internationalen Gemeinschaft, über eine etwaige Truppenaufstellung.

 

Würde sich Finnland daran beteiligen?

 

Diese Frage muss man in einem größeren Rahmen betrachten. Es ist ja bekannt, dass wir eine sehr lange Grenze mit Russland haben. Diese 1340 Kilometer verlangen auch Aufmerksamkeit.  

 

Das heißt, Sie müssen Ihre Kräfte einteilen. Finnland baut gerade einen Zaun entlang der Grenze.

 

Die acht Grenzübergänge zu Russland werden durch einen Zaun geschützt, damit Flüchtende sie an den Seiten nicht durchqueren können. Es ist nicht geplant, einen durchgehenden Zaun über die 1340 Kilometer zu bauen. Die Grenzübergänge sind schon seit längerer Zeit geschlossen – wegen der russischen hybriden Maßnahmen, also der Instrumentalisierung von Flüchtlingen, die die russische Seite in unsere Richtung weitergeschoben hat.  

 

Gab es denn solche Vorfälle noch in jüngster Zeit?

 

 Es ist ruhiger geworden, und wir gehen davon aus, dass das an den finnischen Maßnahmen liegt.

 

Deutschland gedenkt in diesen Tagen des 80. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Russland feiert ihn als Sieg über das nationalsozialistische Deutschland. Sowjetische Heldendenkmäler in Teilen Berlins zeugen davon. Sie haben in einem Vorgespräch erwähnt, dass Sie das seltsam finden. Allerdings hat Deutschland nun mal die damalige Sowjetunion überfallen. Und Geschichte lässt sich ja nicht durch den Abbau von Denkmälern korrigieren. Wie hält es Finnland mit seiner eigenen Erinnerungskultur?

 

Der Unterschied ist ja, dass Finnland nicht von der Sowjetunion besetzt wurde. Wir haben einen Verteidigungskrieg geführt und verhindert, dass wir besetzt wurden. Die Sowjets haben daher keine Denkmäler errichtet, und wir haben nichts abzubauen. Wir empfinden uns als Opfer. In unseren Kriegen gibt es nichts, weshalb wir uns schämen müssten. In Deutschland ist das halt anders. Es war Täter, nicht Opfer. Einige Denkmäler haben wir später freiwillig während des Kalten Krieges errichtet, um die finnisch-sowjetische Freundschaft zu würdigen. Das war zu einer Zeit, als noch Stabilität im internationalen System herrschte. Diese Stabilität wurde durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine erschüttert,  was dann ja auch zu unserer NATO-Mitgliedschaft geführt hat.

 

Zwei Jahre ist Finnland jetzt in der NATO. War das der richtige Schritt aus finnischer Sicht?

 

Kurzfristig gesehen ja, aber letztendlich wird die Geschichte es in 50 oder 100 Jahren beurteilen können. Da ändert sich ja manchmal der Blickwinkel. Aber für uns war eigentlich relativ klar, dass der Schritt gemacht werden musste unter den neuen Umständen, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine.  

 

Finnland war für seine Neutralitätspolitik bekannt und dafür, wie klug es mit den Spannungen der vergangenen Jahrzehnte umgegangen ist. Jetzt ist Ihr Land in alle Prozesse und auch Probleme der Nato involviert. Sie müssen nun den USA vertrauen, dass sie andere Mitglieder im Angriffsfall verteidigen werden.   

 

Bisher hat die USA zugesichert, dass sie Art. 5 des Natio-Vertrages nicht in Frage stellen wird. In zwischenstaatlichen Verhältnissen muss man sich einfach auf offizielle Positionen  verlassen können.

 

Einige Experten warnen, dieser Sommer könnte der letzte friedliche in Europa sein, weil ein neuer Überfall Russlands auf einen Nato-Mitgliedsstaat drohe. Sorgt sich Finnland als unmittelbarer Anrainer vor einem Angriff? Ist das realistisch?

 

Was würde dadurch erreicht? Was wäre das Risikokalkül der anderen Seite?  Ziel wäre wahrscheinlich zu testen, ob die Nato reagiert. Wenn nicht, wäre das gut für den Angreifer, aber was, wenn doch? Ehrlich gesagt, mache ich mir da keine allzu großen Sorgen. In Finnland wie auch in den baltischen Staaten und in Polen, überhaupt an der Ostflanke der Nato, ist man militärisch relativ gut aufgestellt. Es wäre ziemlich waghalsig, dort anzugreifen. Wovon man wahrscheinlich ausgehen kann sind weitere Nadelstiche gegen kritische Infrastruktur.  

 

Trägt Donald Trump mit seiner erratischen Politik mehr zur Einigkeit oder zum Zwiespalt von Europa bei?

 

Ich finde, wir haben uns tatsächlich gut zusammengerafft in den vergangenen Monaten. Und in der Handelspolitik hat sich Europa verantwortlich verhalten, keine überhasteten Reaktionen gezeigt, den Kontakt zu den Amerikanern gesucht und auch gefunden. Neulich war ja die italienische Ministerpräsidentin Meloni in den USA, ebenso wie unser Präsident Alexander Stubb. Er hat mit Donald Trump in Mar-a-Lago Golf gespielt, auf derselben Seite, auch noch erfolgreich und dabei Gespräche geführt  ...

 

Sie haben sozusagen Golfdiplomatie betrieben ..

Genau, wir erweitern unser Spektrum von der Sauna-Diplomatie zur Golfdiplomatie. Man muss seine Stärken eben nutzen …  Das ist doch wohl echte soft power.  

 

Und hat es etwas gebracht? Wissen Sie jetzt, wie Trump tickt?

 

Ja, es war nützlich, weil wir die Gelegenheit hatten, unsere Position ausführlich darzulegen.

 

Gemeinsame Handelsinteressen Europas lassen sich vereinen, aber im Bereich Rüstung hapert es.  Da herrscht Konkurrenz und Fragmentierung. Oder sehen Sie Fortschritte?

 

Wir verfolgen mit großem Interesse, was sich hier in Deutschland tut. Man muss sich nur den Aktienkurs von Rheinmetall ansehen! Unser Interesse besteht darin, dass auch kleinere Spieler wie wir ihr Können und ihre Produkte auf den europäischen Markt bringen können und kein Protektionismus herrscht. Wir in Finnland haben zum Beispiel mit Patria ein Unternehmen, das Schützenpanzer baut. Das zweite Beispiel ist das 5 G-Netz. Ein Großteil der deutschen Netze wird noch immer von Huawei betrieben, obwohl es Bedenken gibt. Da hätten wir eine alternative Lösung von Nokia. Der Konzern ist qualitäts – und preismäßig aber auch was Liefergeschwindigkeiten angeht, total konkurrenzfähig. Ist es in unserem westlichen Interesse, das man den eigenen marktwirtschaftlich orientierten Anbieter aus dem Markt vertreibt? Auch in der Rüstungsindustrie muss Europa auf eigenen Beinen stehen.

 

Aber  westliche Staaten kaufen gerne US-Waffen ein, jetzt sogar noch zur Entspannung der transatlantischen politischen Beziehungen. Der falsche Weg?

 

Ich glaube, es gibt einen gesunden Mix. Auch ein größerer Teil unserer Waffen ist amerikanisch, wir haben ebenfalls F35-Kampfjets bestellt. Und wir machen uns keine großen Sorgen, dass sie nicht funktionieren - Stichwort Killswitch (verdeckter Mechanismus, mit dem die Funktionen von außen deaktiviert werden können). Das wäre wohl ziemlich geschäftsschädigend für Lockheed Martin.

 

Helsinki war einmal Ort für ein historisches Ereignis, nämlich die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) in Europa.  Die Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte jährt sich in diesem Jahr zum 50. Mal.  Der Helsinki-Prozess trug erheblich zur Entspannung im Kalten Krieg bei – mit Mitteln des Dialogs und der Diplomatie. Wäre ein solcher Prozess wiederholbar, oder folgt eine lange, lange Pause?  

 

Das ist schwer vorauszusagen. Damals haben Sowjets und Amerikaner den Prozess unterstützt, KPdSU-Chef Leonid Breschnjew nahm ebenso wie US-Präsident Gerald Ford daran teil, auch Ost-und Westdeutschland. Dass er sich so wiederholen kann, bezweifle ich, weil die Strukturen, in denen Grundregeln des Zusammenlebens festgelegt sind, ausreichen – mit der UN-Charta oder der OSZE-Charta von Paris von 1990. Seit Anfang des Jahres hat Finnland den Vorsitz der OSZE, und ich glaube, unsere Aufgabe besteht jetzt darin, diese Organisation am Leben zu erhalten, denn Russland stellt sie in Frage. Es gab zwei wichtige  Errungenschaften der Helsinki-Konferenz: die Bestätigung der damaligen Grenzen. Wäre schön, wenn wir die jetzt noch einmal festlegen könnten, auch für die Ukraine, ohne dass 20 Prozent ihres Territoriums in Frage gestellt werden. Und zweitens die Bedeutung der Menschenrechte. Auf letzteres haben sich die Oppositionsbewegungen im sogenannten Ostblock gestützt. Auch die deutsche Wiedervereinigung baute darauf auf. Wenn man erfahrene Diplomaten im Auswärtigen Amt auf die KSZE  anspricht, dann gibt es da eine starke Verbundenheit.

Finnlands Botschafter Kai Sauer vertritt seit 2023 sein Land in Berlin. Er wurde in Hamburg als Sohn einer finnischen Mutter und eines deutschen Vaters geboren. Der 58-Jährige hatte diverse Auslandsposten, darunter in Kroatien, Österreich, Indonesien und den USA. Von 2014 bis 2019 leitete er die Ständige Vertretung Finnlands bei den UN in New York. Im Außenministerium war er anschließend auch an der Vorbereitung der Nato-Mitgliedschaft seines Landes beteiligt.