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Vom Rückfall in die Barbarei

Wenn der Westen die eigenen Regeln, zum Beispiel die des Gewaltverbots gegen andere Staaten, nicht befolgt, wer soll sie denn dann einhalten?
June 27, 2025
June 25, 2025

Kolumne von Gudrun Dometeit

Bei einer Demonstration nach dem Angriff Israels halten regimetreue Iraner Fotos des obersten iranischen Führers, Ali Khamenei, hoch (Foto: x.com/AJEnglish)

Vor drei Tagen saß ich mit einem Freund in einem Wiener Kaffeehaus, das US-Bombardement auf iranische Atomanlagen war gerade 36 Stunden her, und österreichische Medien spekulierten über Weltkriegsgefahren. Wir indes ertappten uns für einen Moment lang bei dem Gedanken, ob der Militärschlag nicht Bewegung in einen Konflikt bringen könnte, der seit Jahrzehnten im Stillstand verharrt. Weil aus Disruption, dem Bruch mit Konventionen und Regeln, manchmal Neues erwächst. Die Zerstörung bestehender Ordnungen ist ja offenbar so etwas wie das Motto der US-Administration unter Donald Trump - und die einzige verlässliche Konstante.

 Alles ist möglich. Und doch, ich nenne es eher den Rückfall in die Barbarei. Und sie hat längst nicht nur mit Trump zu tun.

 

Statt Argumenten fliegen Bomben, statt Gerechtigkeit zählt das Recht des Stärkeren. Diplomatie dient als Ablenkungsmanöver und nicht als Versuch ernsthafter Problemlösung. Es sind seit Jahren nicht nur autoritäre Staaten wie Russland, die an der Verrohung der Sitten mitwirken sondern auch die Demokratien des Westens, die doch nach dem Zweiten Weltkrieg Regeln und hehre Werteordnungen für das Zusammenleben aufgestellt haben. Israel („die einzige Demokratie des Nahen Ostens“ ) bombardiert den Gazastreifen in Schutt und Asche, und gemeinsam mit den USA die Atomanlagen im Iran. Westliche Staaten haben das mehrheitlich begrüßt.

 

Und was war die lange Reihe US-geführter Interventionen zum Beispiel im Kosovo, in Libyen, in Afghanistan oder im Irak anderes als die Durchsetzung des Rechts des Stärkeren? Oft unter vorgeschobenen Gründen und mit verheerenden Folgen. 2003 marschierte eine „Koalition der Willigen“ in den Irak, weil dort angeblich Massenvernichtungswaffen lagerten. Gefunden wurde nichts, stattdessen versank das Land in Chaos, entstand der "Islamische Staat" mit Hilfe frustrierter irakischer Militärs und starben über 600 000 Menschen. US-Präsident George W. Bush und seine Kriegsarchitekten hätten vor ein Kriegsverbrechertribunal gehört. Aber wer hätte sich schon mit den übermächtigen USA angelegt?

 

Sicher, es stimmt, das theokratische iranische Regime ist brutal und machtversessen. Alleine 2024 hat es 1000 Menschen hingerichtet, die höchste Zahl an Hinrichtungen bis dahin. Es hat immer wieder martialische Drohungen gegen Israel ausgestoßen, das Land „von der Landkarte zu tilgen“. Und eine richtige Erklärung, warum es gerade in den vergangenen drei Monaten Uran auf 60 Prozent anreicherte – für die zivile Nutzung sind allenfalls drei bis fünf Prozent nötig – hat es öffentlich nicht gegeben. Dennoch hat kein Nuklearexperte, nicht einmal US-Geheimdienste, die unmittelbare Gefahr eines Angriffs gesehen, mit dem sich ein Selbstverteidigungsrecht Israels rechtfertigen ließe. Niemand muss schließlich warten, bis ihm eine Bombe auf den Kopf fällt.

 

Die Gründe und Umstände für die Angriffskriege Russlands in der Ukraine und die von Israel und den USA im Iran sind unterschiedlich, aber alle drei haben m. E. gegen eine elementare Regel, das in der UN-Charta festgelegte völkerrechtliche Gewaltverbot, verstoßen.

 

„Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

 

Es ist zu befürchten, dass genau dieses Vorbild Schule macht. Was spricht dann dagegen, dass demnächst die Dauerfeinde Indien oder Pakistan einander überfallen, weil sie sich angeblich massiv bedroht fühlen? Im jüngsten Kaschmir-Konflikt fiel die indische Reaktion auf einen Terroranschlag in der umstrittenen Region deutlich überproportional aus. Wie ist zu verhindern, dass China eines Tages die Inselrepublik Taiwan einnimmt mit der Behauptung, diese habe sich, von den USA unterstützt, selbständig machen wollen?

 

Solche Fragen müssen sich auch die neuen Verantwortlichen in der deutschen Außenpolitik stellen. Business as usual kann es nicht geben. Außenminister Johann Wadephul innerhalb der CDU zu kritisieren, weil er es gewagt hatte, die Militäraktion der Amerikaner gegen den Iran zu bedauern, zeugt davon, dass manche es anscheinend immer noch für richtig halten, den USA hinterherzulaufen. Und so verständlich aus deutscher Sicht die Rechtfertigung des Selbstverteidigungsrechts Israels ist:  Sonderrechte darf es in dieser Hinsicht auch für Israel nicht geben. Wer das tut, delegitimiert die eigenen Regeln und fördert weitere Tabubrüche.

 

Auf die enormen geopolitischen Konflikte scheint es in diesen Tagen nur militärische Antworten zu geben – wie auch die jüngsten Aufrüstungspläne von Nato, EU und Bundesregierung zeigen. Dies ist kein Plädoyer für militärische Schwäche, denn sie wäre eine schlechte Ausgangsbasis für jegliche diplomatische Verhandlungen. Aber was weitgehend fehlt in dieser brisanten Lage sind begleitende Gedanken und Strategien. Was folgt nach dem militärischen Einsatz? Wie kommt man da wieder heraus? Wie schafft man dauerhaften Frieden oder wenigstens Stabilität? Im Nahen Osten könnte man beispielsweise die Idee der einst so erfolgreichen Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) wiederbeleben, die vor 50 Jahren die Entspannungspolitik zwischen Ost und West einleitete.  

 

Augenblicklich bleibt nur Hass, und die Saat für neue Konflikte. Und die Aussicht, dass sich nicht nur der Iran sondern auch andere Staaten erst recht an die Entwicklung einer Atomwaffe machen, weil offensichtlich nur die vor Angriffen von außen schützt.