
Weltweit gibt es derzeit elf Unternehmen, die eine Billion US-Dollar oder mehr wert sind, und kein einziges kommt aus Europa. Warum nicht? Und warum gibt es in Europa keine disruptive Innovation?
In Berlin befassen sich ab sofort Wissenschaftler und erfolgreiche Unternehmer mit dieser Frage. Das gemeinsame Ziel: Die Innovationslücke zwischen Europa und den USA schließen. Die European School of Management and Technology (ESMT) richtet dafür einen neuen Lehrstuhl ein. Er heißt Team Global Chair for Disruptive Innovation. Am Montag wurde er in der ESMT, einer der weltweit führenden Wirtschaftsuniversitäten, eingeweiht und vorgestellt. Es gehe nicht darum, Dinge etwas besser zu machen, sondern um einen komplett neuen Level, sagte Lukasz Gadowski, erfolgreicher Internet-Unternehmer und Investor, dessen Unternehmen Team Global den Lehrstuhl finanziert. Gadowski ist deutsch-polnischer Risikokapitalgeber. In Polen geboren, zog er nach Verhängung des Kriegsrechts 1981 mit seiner Familie nach Deutschland und war schon während des Studiums unternehmerisch aktiv. Seither gründete er in atemberaubendem Tempo ein Unternehmen nach dem anderen.
Pferdekutschen und Suchmaschinen
In der ESMT, deren Campus im ehemaligen Staatsratsgebäude der DDR neben dem Berliner Schloss (Humboldt Forum) untergebracht ist, erläuterte der Stifter sein Verständnis von revolutionären Neuerungen. „Eine Innovation ist dann disruptiv, wenn sie etwas Bestehendes nicht nur ein wenig besser macht, sondern auf ein völlig neues Niveau hebt. Beispiele sind der Übergang von Pferdekutschen zum Automobil oder heute von Suchmaschinen zu künstlicher Intelligenz. Aber auch die Einführung der allgemeinen Schulpflicht oder die Begründung der Bürokratie waren damals disruptiv.“ Der Lehrstuhl werde auf diesem Gebiet forschen und lehren und dadurch Studenten, Unternehmer, Politiker und die Gesellschaft inspirieren und befähigen. „Was hebt die Zivilisation auf die nächste Stufe und wie tragen wir dazu bei?"
Hochschulpräsident Prof. Jörg Rocholl betonte im Grußwort, der Stiftungslehrstuhl solle Investoren und Akademiker zusammenbringen und dazu beitragen, dass aus wissenschaftlichen Ideen Lösungen entstehen, die weit über den Campus hinaus ihre Wirkung entfalten. Europa dürfe nicht nur erfinden, es müsse auch skalieren. Wenn ein deutsches Unternehmen wie BioNTech so großen Erfolg habe, dann nicht, weil es aus Deutschland sei, „sondern trotzdem“. Nebenbei erwähnte Rocholl, es vergehe keine Woche, in der nicht ein US-Wissenschaftler bei ihm anrufe, der das Trump-Amerika verlassen wolle.
Den neuen Lehrstuhl – Schnittstelle von Technologie, Innovation und Unternehmertum – wird Prof. Henry Sauermann übernehmen, unterstützt durch Prof. David Robinson von der Duke University (Durham im US-Bundesstaat North Carolina). Sauermann beschäftigt sich mit neuen Modellen der Wissensgenerierung, die bahnbrechende Innovationen von wissenschaftlichem und gesellschaftlichem Wert hervorbringen sollen.
Europas „großes Geschenk“ an die USA
In seinem Beitrag erinnerte Robinson, ein Experte für Unternehmensfinanzierung, an das „große Geschenk“, das die Deutschen den Amerikanern gemacht hätten, indem jüdische Gelehrte in die USA hatten flüchten müssen. „Die amerikanischen Erfolge der 60er und 70er Jahre waren das Ergebnis der europäischen Erfindungen der 20er Jahre.“
Weitere Redner waren der frühere Finanzminister Jörg Kukies und die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Ann-Kristin Achleitner.
ekö