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Ein bisschen Frieden

Der sogenannte Friedensplan Donald Trumps hat Dynamik in die Lösung des Ukraine-Russland-Konflikts gebracht. Die Europäer waren mal wieder außen vor. Blockieren dürfen sie den Prozess trotzdem nicht
November 24, 2025
November 23, 2025
Die Schlagzahl russischer Attacken auf ukrainische Energieinfrastruktur und zivile Gebäude nimmt zu. Die militärische Lage sieht nach Einschätzung von Beobachtern für die Ukraine nicht so günstig aus (Foto: uacrisis.org)

Ist der Frieden in der Ukraine nah? Endlich nach 1369 Tagen Krieg, Hunderttausenden von Verletzten und Toten sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite, Zerstörungen in dreistelliger Milliardenhöhe? Befindet er sich „auf den letzten zwei Metern der Zielgerade“, wie es der Ukraine beauftragte der US-Regierung, Keith Kellogg, formulierte?

Man möchte es glauben, man möchte glauben, dass der sogenannte Friedensplan von Donald Trump die beiden Kriegsparteien, die Ukraine und Russland, an einen Tisch bringt, um das unsägliche Blutvergießen mitten in Europa zu beenden. Und dass es dabei egal ist, ob es sich nun um einen vollständigen Friedensplan, eine Ideensammlung oder einen Rahmen für Verhandlungen handelt, von dem die Amerikaner sagen, dass er nicht in Stein gemeißelt sei. Und dass es auch nicht darauf ankommt, ob der Initiator wieder einmal der großspurige, selbsternannte Friedensengel jenseits des Atlantiks ist, der bei allen Deals auch immer ans Geschäft für sich und Amerika denkt.

Wichtig ist doch vor allem die diplomatische Dynamik, die plötzlich in den Prozess zur Beendigung des größten Gewaltausbruchs in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg zu gelangen scheint. Vielleicht ist es ein einzigartiges Momentum, sogar auf längere Sicht die letzte Chance, dem Sterben ein Ende zu setzen. Und ehrlich gesagt, die Empörungszustände europäischer Politiker, Experten oder Medien, die aus warmen Sitzungs- oder Redaktionsstuben heraus reflexartig vor einer Kapitulation der Ukraine oder einem Diktatfrieden warnen sind geradezu zynisch – zu einem Zeitpunkt, in dem es ausnahmsweise mal nicht um Waffenlieferungen sondern um intensive diplomatische Lösungsansätze geht.

Solche Reaktionen klingen eher nach dem Beleidigte-Leberwurst-Syndrom – denn mal wieder waren die Europäer nicht eingebunden in die Gespräche, die seit etwa einem Monat zwischen den USA und Russland liefen und zu denen auch nach Informationen der Washington Post der ukrainische Präsidentenberater AndrijJ ermak hinzugezogen wurde. Es hat wohl nicht nur mit dem unorthodoxen Verhandlungsstil Trumps zu tun, wie Deutschlands Außenminister Johann Wadephul sagte, dass die Europäer dabei keine Rolle spielten, sondern auch damit, dass die Amerikaner das politische Gewicht und den Gestaltungswillen Europas offenbar ziemlich gering einschätzen. Erst am Sonntag starteten in Genf Gespräche der USA mit Abgesandten aus Deutschland (Kanzlerberater Günter Sautter), Frankreich und Großbritannien, bei denen die Europäer noch hastig pro-ukrainische Standpunkte einbrachten.

Denn natürlich, der sogenannte 28-Punkte-Plan ist aus ukrainischer Sicht um einiges entfernt davon, ideal zu sein. Er verlangt die Aufgabe des Ziels der Nato-Mitgliedschaft, die De-facto-Übergabe der Halbinsel Krim, des Donbass mit Luhansk und Donezk an Russland, die Verkleinerung der Armee von jetzt rund 900.000 Soldaten auf 600.000. Aber zugleich soll Kyiv eine Sicherheitsgarantie der USA und Europas erhalten, die dem Beistandsartikel 5 des Nato-Vertrages ähnelt sowie die Zusicherung ihrer Souveränität. Ein „bedeutender, vorsätzlicher und anhaltender bewaffneter Angriff“ Russlands auf die Ukraine werde als Angriff auf die Sicherheit der transatlantischen Gemeinschaft gewertet und mit adäquaten Mitteln, darunter militärischen, beantwortet. Es ist im Grunde die wichtigste Forderung, die die Ukraine immer wieder erhoben hat, schon im März 2022 kurz nach der russischen Invasion, als sie im Gegenzug für Schutz vor Russland Neutralität anbot.

Anderes dürfte tatsächlich unakzeptabel für die Ukraine sein, wie eine Amnestie für alle am Krieg Beteiligten, d.h. auch der russische Präsident Wladimir Putin müsste sich nicht für den völkerrechtswidrigen Angriff verantworten. Ukrainische Familien, deren Angehörige gefallen, vergewaltigt oder entführt wurden, verlangen jedoch Gerechtigkeit als Ausgleich für die Opfer, die sie gebracht haben. Sie werden sich auch mit der Abgabe von Territorien schwer tun, deren Verteidigung soviel Blut gekostet hat. Der Plan sieht vor, dass von der Ukraine kontrollierte Teile in Donezk in eine entmilitarisierte Zone überführt werden, die unter russischer Verwaltung stehen soll.

Laut Umfragen des Kiew International Institute for Sociology im September und Oktober dieses Jahres wollen trotz Kriegsmüdigkeit 54 Prozent der Ukrainer auf keinen Fall auf Gebiete verzichten, auch wenn das die Verlängerung des Krieges bedeutet. Allerdings war diese Mehrheit im September 2022 mit 87 Prozent noch deutlich größer. Die europäischen Verhandler bekräftigten nach ersten Verlautbarungen aus Genf im Prinzip ihre Position, den Konflikt entlang der Kontaktlinie einzufrieren und die Entscheidung über territoriale Fragen danach der souveränen Ukraine zu überlassen. Die ukrainische Armee solle zudem nicht auf 600.000 sondern auf 800.000 reduziert werden, und das auch nur in Friedenszeiten.

Man kann nur hoffen, dass die Europäer die Chance auf einen Waffenstillstand und einen vielleicht folgenden Frieden nicht mit unrealistischen Forderungen blockieren und das Momentum verstreichen lassen. Sollte ein ukrainisch-russisches Abkommen zustande kommen, haben ohnehin die Ukrainer das letzte Wort. 100 Tage nach dem Abschluss sollen laut Trumps Vorschlag Wahlen stattfinden, die es zuletzt 2019 in der Ukraine gegeben hat. Er folgt damit Russland, das dies seit langem fordert, in der Hoffnung auf eine neue russlandfreundlichere Regierung in Kyiw. Wegen eines Korruptionsskandals, bei dem es auch um westliche Zahlungen geht, steht Präsident Wolodymyr Selenskyj gerade ohnehin mächtig unter Druck. Es könnte also durchaus sein, dass der ehemalige Schauspieler seinen Landsleuten vielleicht Frieden bringt, aber sein Amt verliert.