Kolumne von Gudrun Dometeit
Jüngst sprachen sich in einer Befragung des Yougov-Instituts 47 Prozent der Bundesbürger für mehr Diplomatie im Ukrainekrieg aus, nur 29 Prozent hielten sie für angemessen. Dieser knappen Hälfte der Deutschen, so kann man es interpretieren, ist offenbar unwohl bei dem Gedanken, das über drei Jahre andauernde Blutvergießen in der Ukraine nach dem russischen Überfall im Februar 2022 vor allem mit der Lieferung neuer Waffen beenden zu wollen. Das Gefühl teilt der überwiegende Teil der Politik in Deutschland und Europa nicht. Ganz im Gegenteil.
Die USA und Nato-Staaten senden Kiew neue Waffen, zwischenzeitlich war sogar von Systemen die Rede, die Moskau erreichen könnten. Dass US-Präsident Donald Trump sich zur Wiederaufnahme von Lieferungen entschlossen hat, soll angeblich nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Friedrich Merz erfolgt sein. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius bestellte soeben das US-Raketensystem Typhon, das mit einer Reichweite von bis zu 2500 Kilometern weit in russisches Territorium vordringen kann. Selbstverständlich diene es nur, so Pistorius, zur Verteidigung und Abschreckung. Seit Monaten machen Szenarien die Runde, Russland könne spätestens zum Ende des Jahrzehnts ein Nato-Land angreifen. Im Beitrag eines Berliner Thinktanks heißt es, solange Moskau allerdings in der Ukraine gebunden sei, sei ein Überfall des Baltikums eher unwahrscheinlich. Was den zynischen Umkehrschluss zulässt: Muss die Ukraine also nur lange genug durchhalten, bis die anderen so weit sind, sich wirksam verteidigen zu können.
Und das jüngste Szenario, kolportiert von Nato-Generalsekretär Mark Rutte beim Besuch in Berlin: Es gebe laut eigenen Quellen ein erhöhtes Risiko, dass Chinas Präsident Xi Jinping vor einem Angriff auf Taiwan „seinen Juniorpartner“ Wladimir Putin um Hilfe bitte, nach dem Motto: „Du musst sie in Europa mit Angriffen auf Nato-Territorium beschäftigen.“
Egal welcher Konflikt, ob in der Ukraine, im Nahen Osten, zwischen Indien und Pakistan oder China und den USA: Die Mittel der Wahl scheinen immer mehr militärische zu sein. „Um in dieser Welt, im Zeitalter der Raubtiere, frei zu sein, muss man gefürchtet werden“ sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einigen Tagen vor Militärs, „und um gefürchtet zu werden, musst Du mächtig sein.“ Dazu passt, dass Rüstungskontrolle zum politischen Relikt des vorigen Jahrhunderts mutiert. Die Ära der Begrenzung nuklearer Waffen, die nach dem Ende des Kalten Krieges begonnen habe, sei beendet, stattdessen habe ein nukleares Wettrüsten begonnen, warnte der Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI, Hans Kristensen. Alle neun Atomwaffenstaaten sind dabei ihre Arsenale aufzustocken oder zu modernisieren.
Diplomatie, die Politik der leisen Töne, die Kommunikation auch mit politischen Gegnern, ist auf dem Rückzug. Oder verkommt zu Showveranstaltungen à la Trump, der in 24 Stunden oder ein paar Wochen erledigen will, was in der Regel die Geduld von Monaten oder Jahren braucht. Es ist die Entertainisierung von Diplomatie, beifallheischend, schnell aber nicht nachhaltig.
Die Rahmenbedingungen für Diplomatie sind nicht eben günstig. Die sozialen und digitalen Medien machen das diplomatische Geschäft schneller, erhöhen den Erwartungsdruck. Was eigentlich Vertraulichkeit bräuchte, wird in die Öffentlichkeit gezerrt. Der Wille zur Inszenierung ist unter Politikern oft ausgeprägter als der zur Lösung von Problemen. Und, das gilt auch für uns Medien, Schnelligkeit geht nicht selten vor Sorgfalt. Angesagt sind, wie eine Diplomatin vor kurzem klagte, oft nur Wasserstandsmeldungen, die den komplexen Zusammenhängen nicht gerecht werden. Zudem hat die gesellschaftliche Polarisierung, die die Welt in gut und böse, in richtig und falsch, mit wenig Grautönen aufteilt, auch die Außenpolitik erfasst. Die wenigen Initiativen, über zivile und diplomatische Ansätze zum Frieden nachzudenken, werden als naiv diskreditiert, deren Verfasser wie die des SPD-Manifests als Putin-Handlanger beschimpft. Kritik scheint eine Nische für Philosophen oder Soziologen wie Hartmut Rosa zu sein, der jüngst in der Berliner Zeitung eine Militarisierung der Gesellschaft beklagte.
Aber damit das klar ist: Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine war ein Tabubruch. Es geht nicht um Rechtfertigung, sondern Erklärungen und Lösungen.
Was kann Diplomatie unter diesen Umständen überhaupt leisten? Beispiel Ukrainekrieg. Die Versorgung der Ukraine mit Waffen auf dem bisherigen Niveau verlängert das Blutvergießen. Eine erhebliche Steigerung des Mitteleinsatzes und sogar direkte Involvierung der Nato würde womöglich den Dritten Weltkrieg bedeuten. Wer den nicht will, muss darüber nachdenken, ob wirklich alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Immer wieder ist zu hören, mit Putin kann es keine Gespräche geben. Lotet jemand andere Gesprächskanäle aus? Und sind die Sanktionen der EU wirklich klug eingesetzt? Manche der 18 Sanktionspakete waren wenig zielgerichtet, bestraften die Wirtschaft und Einzelpersonen aber sollten auch die Menschenrechtslage und Demokratie in Russland verbessern. Das klang eher nach Regimechange. Die meisten Studien zeigen, dass Sanktionen in der Regel nur dann politische Verhaltensänderungen in der Elite eines Landes bewirken können, wenn man sie mit präzisen, klar umgrenzten Zielen verbindet. Oder auch zunächst nur als Drohung einsetzt.
Und wer denkt eigentlich über den Tag nach einem Friedensschluss nach, über die künftige Sicherheitsordnung in Europa? Eine, die nicht waffenstarrend und vermint ist? Wäre doch ein Job für den künftigen Nationalen Sicherheitsrat. Über Strategien nachzudenken statt nur Krisenmanagement zu betreiben. Also, Herr Merz, in diesem Sinne: Wie wäre es mit Drecksarbeit und m e h r Diplomatie?