Kolumne von Ewald König
Nun sind sie mitten in Berlin, die Männer aus Afghanistan mit den langen Bärten, leben vorübergehend in einem Hotel, bereiten sich auf die Arbeit in der afghanischen Botschaft vor und stellen Diplomatie, Politik und Protokoll auf die Probe. Die Ankunft der beiden Taliban in Berlin war zunächst für Montag angekündigt, doch waren sie bereits am Samstag eingereist, einen Tag nach der Abschiebung der 81 Afghanen.
Was hat der Westen, was hat Deutschland seit dem Afghanistan-Gipfel am Petersberg bei Bonn gelernt? Diese Konferenz – sie fand Ende November bis Anfang Dezember 2001 statt – hatte mit viel Euphorie begonnen. Zwanzig Jahre später fand in der usbekischen Hauptstadt Taschkent eine weitere Afghanistan-Konferenz statt. Hier beteiligte sich die deutsche Regierung nur mit einer kleinen Videobotschaft und bekam fatalerweise sonst nichts mit.
Ich war als Berichterstatter in beiden Gipfeltreffen dabei, auf dem Petersberg und in Taschkent. Während sich momentan die beiden Taliban im verregneten Berlin umschauen, denke ich an die beiden Konferenzen zurück.
Das luxuriöse Gästehaus der Bundesregierung auf dem Petersberg mit dem umwerfenden Blick auf den Rhein war gut abgeschirmt. Ich erinnere mich genau: Es war gerade Ramadan – eigentlich nicht die optimale Zeitplanung, da die meisten Gipfelteilnehmer tagsüber fasteten. Ein Nachteil war es dennoch nicht. Nach Sonnenuntergang wurde festlich getafelt. Die Gespräche dauerten daher bis tief in die Nacht in einer Atmosphäre, in der Kompromisse leichter zu erzielen waren als in der Nüchternheit tagsüber.
Euphorie und Naivität
Über dem Petersberger Gipfel lag viel Euphorie. Allzu schnell, allzu leichtfertig, allzu oft war von Durchbruch die Rede. Die Euphorie speiste sich jedoch zum Teil aus westlicher Naivität.
Bald häuften sich in den fünf Konferenztagen Zweifel, Misstrauen und Skepsis. Ein wichtiger Politiker reiste sogar vorzeitig ab, weil er die Paschtunen schlecht repräsentiert sah. Auch andere Volksgruppen bemängelten, dass sie als Minderheit keine eigene Delegation stellen durften. Sie fühlten sich auch durch andere Delegationen nicht vertreten. Außerdem sollen sich einige Delegierte als Vertreter anderer Stämme ausgegeben haben.
Die deutschen Gastgeber der UN-Konferenz waren etwas geblendet von der fotogenen Gewandung des neuen Präsidenten Hamid Karsai und seinem Auftreten als Reformpolitiker. Zu Hause jedoch galt er vielen als Marionette des Westens.
Ernüchterung herrschte speziell über das Frauenbild der Delegierten aus der Region. Wie die hehren Bekenntnisse über Frauenrechte auf grundlegenden Missverständnissen beruhten, zeigte sich an entlarvenden Äußerungen oder auch nur an der Gestik. Die vier Frauen in den Delegationen wurden kritisch beäugt: Waren es tatsächlich Kämpferinnen für Gleichberechtigung? Oder waren es "Alibifrauen"? Und würden die Frauen, die schon jahrelang im Exil lebten, im Lande selbst akzeptiert werden?
„Nation von Witwen und Bettlerinnen“
Als ich mit einer von ihnen, Sima Wali, Universitätsprofessorin in Washington, ein Interview führte, sagte sie, die afghanischen Frauen hätten unter den vielen Verbrechen der Taliban-Herrschaft gelitten. "Afghanistan ist eine Nation von Witwen und Bettlerinnen geworden. Aber wir haben sehr starke Frauen in Afghanistan." Sie wollte daran arbeiten, dass die Stimmen der afghanischen Frauen nicht untergehen, "auch nicht im Westen". Einige Jahre später starb sie. Die Rückkehr der Taliban mit ansehen zu müssen, blieb ihr erspart.
Die Petersberger Afghanistan-Konferenz endete mit mageren Ergebnissen. Man konnte sich gerade noch auf ein Abschlussprotokoll einigen. Damals war erstmals von einer Art EU-Truppe die Rede – eine Idee, die später nach dem eiligen Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan wieder auftauchte. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte auf der Konferenz, er gehe davon aus, "dass sich Europa und die Europäer daran beteiligen".
Kaum stand am Rhein der politische Rahmen fest, folgte in Berlin eine Geberkonferenz. Der damalige Außenminister Joschka Fischer appellierte an die intellektuellen Exil-Afghanen und die in aller Welt verstreuten Fachkräfte, zum Wiederaufbau heimzukehren: "Alle Spezialisten werden in Afghanistan dringend benötigt!"
Deutsches Desinteresse an Konferenz in Usbekistan
Zwanzig Jahre später: In Taschkent findet eine weitere Afghanistan-Konferenz statt. Usbekistan ist Nachbarland Afghanistans und registriert daher sehr aufmerksam, was in Afghanistan passiert und Auswirkungen auf die ganze Region haben könnte.
Auch an dieser Konferenz konnte ich als journalistischer Beobachter teilnehmen, neugierig, wie sich die Lage im Vergleich zur Euphorie vom Bonner Petersberg darstellt. Usbekistan hatte – das war noch kurz vor dem fluchtartigen Truppenabzug der Amerikaner und ihrer Alliierten – die Initiative ergriffen und alle Betroffenen eingeladenen.
Was mir rasch auffiel: Deutschland glänzte durch Abwesenheit. Abgesehen von kurzen Zuschaltungen per Video zeigte die deutsche Regierung wenig Interesse.
Dies stelle ich durchaus in einen Zusammenhang mit dem späteren Versagen Deutschlands und anderer europäischer Partner. In Berlin zeigten sich das Außen- und das Verteidigungsministerium sowie das Kanzleramt und die Nachrichtendienste überrascht vom Tempo, das die Taliban bei der Eroberung Kabuls vorlegten, und zerknirscht, weil die afghanischen Ortskräfte der Deutschen nicht rechtzeitig ausgeflogen werden konnten.
Angewiesen auf Katar als Vermittler
Wäre Deutschland angemessen vertreten gewesen, hätte es die Gelegenheit gehabt, mit den Akteuren zu reden – ja, auch mit den Taliban. Ich spreche nicht von offiziellen Begegnungen, die von Pressefotografen dokumentiert worden wären und den Taliban ermöglicht hätten, eine westliche Anerkennung oder Unterstützung daraus abzuleiten. Ich meine jene Gespräche, die bei jeder Konferenz am wichtigsten sind, nämlich die vertraulichen Unterhaltungen am Rande einer solchen Großveranstaltung, ohne Mikrofone, ohne Kameras, ohne Protokollanten.
Da hätten deutsche Diplomaten registriert, dass die Taliban nicht nur alte Männer mit langen Bärten sind, sondern auch smarte junge Männer mit guter Ausbildung. Inoffizielle Kontakte mit ihnen hätten geholfen, die Lage realistischer einzuschätzen und für später informelle Gesprächskanäle zu haben, auf die sie hätten zugreifen können. Nun ist Deutschland auf einen Dritten angewiesen, auf Katar als Vermittler zwischen Deutschland und Afghanistan.
Hunderte Repräsentanten aus mehr als vierzig Ländern waren der Einladung nach Taschkent nachgekommen. An Brisanz fehlte es dabei nicht: Die zentralasiatischen Staaten wollten alles vermeiden, was zum Überschwappen islamistischer Gewalt aus Afghanistan führen könnte. Denn aufgeben und abziehen, wie es die ausländischen Truppen getan haben, können Usbekistan und die anderen Nachbarn nicht. Sie müssen mit der unruhigen Nachbarregion leben und möglichst pragmatisch mit ihr umgehen.
Hätte der Westen aus der Konferenz vom Petersberg vor einem Vierteljahrhundert mehr gelernt und hätte er die Konferenz von Taschkent vor ein paar Jahren ernster genommen, wäre er von den Ereignissen nicht derartig überrollt worden.
Botschafter ohne Kontakt zu seinem Ministerium
Nun haben wir also die Taliban in Berlin. Bei der diskreten Landung wurde ihnen kein roter Teppich ausgerollt. Die Abholung vom BER erfolgte durch andere. Sie werden in Berlin bleiben. Sie übernehmen nun die Botschaft ihres Landes, die seit Jahren – mit Personal aus alter Zeit – sehr dünn besetzt ist und keinen Missionschef hat. Der letzte Botschafter agierte zwar auch noch nach der Machtübernahme der Taliban als Repräsentant seines Landes, hatte aber keinen Kontakt zum Taliban-Regime. Aus Kabul wurden Zahlungen zum Betrieb der Botschaft eingestellt, daher mussten Dienstwagen verkauft, Mitarbeiter gekündigt und Reserven aufgebraucht werden.
Der Botschafter wusste selbst nicht, ob er überhaupt noch Botschafter Afghanistans war. Er hatte keinen Kontakt mit seinem Außenministerium. So ging es ein paar Jahre lang. Erst als in Kabul Visa mit seiner Unterschrift plötzlich nicht mehr akzeptiert wurden, wusste er, dass er besser untertauchen sollte. Er lebt nun als Privatperson mit seiner Familie in Berlin.
Die neuen Männer sind schon da.