Europa hat nach Ansicht des früheren deutschen Außenministers Sigmar Gabriel in der Gaza-Krise "ziemlich versagt", weil es nicht einmal gelungen sei, das Handelsabkommen der EU mit Israel auszusetzen. Es zeige, wie fragmentiert Europa sei. Insbesondere auch Deutschland hätte viel früher auf den Gazakrieg reagieren müssen, sagte Gabriel anlässlich der Vorstellung des Buches "Weltenbeben" des erfahrenen Krisendiplomaten Martin Kobler in Berlin. "Das hat uns viel Kredit im Nahen Osten gekostet", betonte Gabriel.
"Wo war Europa, als Donald Trump seinen Friedensplan vorschlug, wo das strategische Gewicht Europas?" kritisierte auch Kobler, der Anfang der neunziger Jahre das Vertretungsbüro der Bundesrepublik Deutschland in Jericho leitete und danach unter anderem als Diplomat in Afghanistan, Irak, Pakistan, Kongo und Ägypten diente. "Und was kann Katar, was die Europäer nicht können?" Europa habe 30 Jahre lang nichts unternommen, um den Versöhnungsprozess zwischen Palästinensern und Israelis voranzutreiben.
Kobler forderte mehr strategisches Denken und mehr Risikobereitschaft von Politikern, auch heiße Eisen anzupacken. Grundsätzlich sei mehr Diplomatie zur Lösung der vielen Krisen und bewaffnete Konflikte nötig statt einer weiteren Militarisierung der Außenpolitik. Humanitäre Hilfe sei natürlich nötig, aber letztlich nur Symptombekämpfung. "Man sollte Antiobiotika verschreiben, statt immer nur Aspirin zu geben." Der schmerzliche Bedeutungsverlust der UN sei allerdings nicht nur die Schuld von Donald Trump und dessen Mittelkürzungen. Es fehle an Führung auf allen Ebenen. "Wir haben auch schon bessere UN-Generalsekretäre gesehen", sagte Kobler im Hinblick auf den amtierenden UN-Chef, den Portugiesen Antonio Guterres. "Es reicht nicht, in Sachen Ukraine Krokodilstränen zu vergießen, warum hat er nicht überallhin Emissäre losgeschickt?"
Zur Reformierung der UN könnte nach Meinung Gabriels auch gehören, dass Parteien, die an einem Konflikt beteiligt seien, von Abstimmungen in der Generalversammlung ausgeschlossen werden sollten oder statt einzelner Staaten eher supranationale Organisationen wie die EU Mitglieder des Sicherheitsrates würden. Einen deutschen Sitz in diesem Gremium hält Gabriel für inzwischen eher unwahrscheinlich.
Kobler, der auch einst das Büro des grünen Außenministers Joschka Fischer geeitet hatte, will nach eigenen Worten sein Buch trotz aller Kritik als kämpferisches Plädoyer "gegen Angststarre und Pessimismus" und für mehr politischen Mut in Europa verstanden wissen.
gd