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Hallo Deutschland, bitte nicht nur auf Konflikte, auch auf Chancen schauen

Selbstverständlich schaut Deutschland auf alle aktuellen Konfliktzonen, die seine Kräfte absorbieren.
June 11, 2025
June 11, 2025

Kolumne von Ewald König

Usbekistan als eurasisches Drehkreuz: Hier werden Automobile für ganz Zentralasien gebaut und dreißig Universitäten errichtet. Man muss nicht alles chinesischen Investoren überlassen. Foto: Ewald König

Dabei geraten andere Zonen aus dem Blickfeld. Zonen, in denen Deutschland eher schwach vertreten ist und viel zu verpassen droht. Ausnahmsweise schaut diplo.news hier nicht auf die Konflikt- und Krisenzonen, sondern auf Chancenregionen. Auf Zonen mit atemberaubenden Transformationen, die in Europa, in Deutschland zu wenig wahrgenommen werden.  

Soeben nahmen wir erstaunt zur Kenntnis, wen die Russen als feindlichstes Land ansehen. Nach einer Umfrage aus der zweiten Maihälfte sehen die Russen nicht die Ukraine als feindlichstes Land, obwohl Russland Krieg gegen die Ukraine führt. Es sind überraschenderweise auch nicht die USA als traditioneller Gegenmacht. Nein, es ist Deutschland, das als besonders feindlich gilt. 55 Prozent der befragten Russen sehen das so. Die anderen als feindlich empfundenen Länder: Großbritannien (49 Prozent), Ukraine (43 Prozent), USA (40 Prozent). Als engste Verbündete sehen sie Belarus (80), China (66), Kasachstan (36), Indien (32) und Nordkorea (30 Prozent).

Diese feindliche Wahrnehmung spiegelt sich in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens keineswegs wider. Im Gegenteil: Sie öffnen sich - in unterschiedlicher Intensität - dem Westen. Allen voran Usbekistan, das mit seiner multivektoralen Außenpolitik möglichst problemfreie Beziehungen in alle Richtungen pflegen möchte. Deutschland wird von Usbeken keineswegs als feindliches Land betrachtet. Es ist exakt das Gegenteil.

Diese offene Haltung macht sich Deutschland viel zu wenig zunutze. Zwar gibt es durchaus engen Austausch auf politischer Ebene und viele deutsche Investitionen im Land. Aber bei großen internationalen Konferenzen fällt immer wieder auf, wie schwach Deutschland vertreten ist und das Potenzial nicht genug zu schätzen weiß, das in Zentralasien schlummert. Entweder ist ein Vertreter des Auswärtigen Amts nur mit einer kurzen Videobotschaft zugeschaltet, was beim Networking wenig hilft, oder Deutschland beschränkt sich, verglichen mit anderen Delegationen, auf niederschwellige Präsenz. Diese Zurückhaltung fällt einfach auf.

Wie ein mehrtägiges Investorenforum in der Hauptstadt Taschkent zeigt (von dem ich gerade berichte), entwickelt sich Zentralasien in rasantem Tempo und bietet deutschen und europäischen Partnern wirklich ungeahnte Möglichkeiten.

Ein paar Beispiele gefällig? Usbekistan baut zur Zeit ein "New Taschkent" mit zwei Millionen Einwohnern direkt neben der jetzigen Hauptstadt. Zur Infrastruktur gehört ein neuer Flughafen. Usbekistan errichtet dreißig (!) neue Universitäten und sucht dafür internationale Kooperationen. Es privatisiert 29 staatseigene Großunternehmen und bietet ausländischen Investoren die gleichen Konditionen wie einheimischen Unternehmen. Im Joint-Venture mit dem chinesischen Autohersteller BYD wird Usbekistan der Hub für E-Fahrzeuge für ganz Zentralasien. Usbekistan baut engagiert seine Position als eurasisches Drehkreuz aus. Das Land wird die Schlüsselposition im Ost-West-Korridor zwischen China und den europäischen Märkten einnehmen. Im geplanten Straßenkorridor von China über Zentralasien in den Iran ist Usbekistan führend, ebenso in der Bahnverbindung China-Iran.

Nicht alles muss von den Chinesen gemacht werden. Deutsche und europäische Unternehmen sind gefragt. Sie sollten präsenter sein. Man wartet auf sie.