Während Bundeskanzler Friedrich Merz vorigen Freitag in seiner ersten Sommerpressekonferenz die Fragen der Hauptstadtjournalisten beantwortete, saßen sie schon in der Maschine der Qatar Airways. Die Abschiebung der 81 afghanischen Straftäter ohne Bleiberecht stellten die diplomatischen und politischen Verhandler der drei Staaten vor äußerst schwierige Aufgaben. Verhandelt wurde bis knapp vor dem Abflug am Freitagmorgen. Bis zum letzten Moment hätte noch etwas schiefgehen können.
Wenige außenpolitische Themen
Obwohl das Thema illegale Migration und kriminelle Asylwerber viele Deutsche mehr bewegt als die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts, nahm die Personalie der Richterin Frauke Brosius-Gersdorf genau ein Drittel der anderthalbstündigen Pressekonferenz ein. Auch andere innenpolitische Themen beherrschten die Runde. Trotz der Vielzahl von Krisen und Konflikten auf dem Globus gab es daher nur wenig Zeit für außenpolitische Fragen. Und das ausgerechnet bei einem Regierungschef, der an Außenpolitik mehr interessiert ist als seine Vorgänger.
Nur diplo.news fragte nach der Abschiebung
Von den etwa 200 Journalisten kam in dieser Pressekonferenz keine einzige Frage zur Abschiebeaktion. Erst diplo.news warf das Thema auf. Die Frage lautete: „Eine Frage zur heutigen Abschiebung von 81 afghanischen Straftätern. Hat es dafür doch direkte Gespräche Deutschlands mit den Taliban gegeben? Welche Rolle hat Katar dabei gespielt, und wann sind die nächsten Aktionen geplant?“
Bundeskanzler Merz war auf eine Frage zur Abschiebung eindeutig vorbereitet. Er hatte das Thema aber nicht selbst in seinem Eingangsstatement angesprochen. Auf die Frage von diplo.news gab er eine ausführliche Antwort, die wir hier im Wortlaut zitieren:
„Während wir hier sitzen, ist ein solcher weiterer Flug aus Deutschland nach Afghanistan unterwegs. Sie wissen vermutlich, dass auch die frühere Bundesregierung im letzten Jahr einen solchen Flug ermöglicht hat.
Die Verhandlungen darüber sind über viele Wochen hinweg geführt worden. Es hat immer schon technische Kontakte nach Afghanistan gegeben. Sie wissen, dass wir die De-facto-Regierung in Afghanistan nicht anerkennen. Sie wissen aber vermutlich auch, dass die diplomatischen Beziehungen zwischen Afghanistan und Deutschland nie abgebrochen worden sind. Aber diplomatische Beziehungen gibt es zwischen Staaten und nicht zwischen Regierungen. Insofern gab es eine Möglichkeit, Gespräche zu führen, und das hat die Bundesregierung getan.
Es ist unter der Beteiligung der Bundesländer jetzt möglich gewesen, eine größere Zahl von Straftätern, die aus Afghanistan kommen, abzuschieben. Für alle gilt: Keiner hatte mehr einen Aufenthaltsstatus. Es sind alle Asylanträge rechtskräftig abgewiesen worden, ohne weitere Rechtsmittel. Deswegen waren auch eine solche Abschiebung und ein solcher Flug möglich.
Dank an den Emir
Ich will ausdrücklich Dank an den Emir von Katar und auch an das Land sagen. Katar hat dabei geholfen und hat in diesem Zusammenhang auch eine wichtige Rolle gespielt. Ich bin dankbar, dass das heute endlich möglich wurde. Sie wissen, dass wir eine entsprechende Regelung in unserem Koalitionsvertrag auch vorgesehen haben, und sie wird heute erstmalig umgesetzt.“
Wer auf deutscher Seite denn diese Gespräche geführt habe, wollte Merz jedoch nicht sagen. Er verriet nur, dass „mehrere Teile der Bundesregierung daran beteiligt“ gewesen seien.
Telefonat zwischen Doha und Berlin
Dass der deutsche Regierungschef dem Emir von Katar für die Unterstützung in der Öffentlichkeit ausdrücklich dankte, war ein Novum. Bei der ersten Abschiebung im August vorigen Jahres hatte dies Bundeskanzler Olaf Scholz nicht getan.
Am Sonntag Vormittag fand sogar ein Telefongespräch auf oberster Ebene statt. Der Emir und der Bundeskanzler sprachen miteinander über die Abschiebung. Einzelheiten des Gespräches wurden nicht bekannt.
Reintegration wird kontrolliert
Nach Angaben des katarischen Außenministers Mohammed bin Abulaziz Al-Khulafi sei es für Katar besonders wichtig, dass ein spezieller Kontrollmechanismus den Reintegrationsprozess beobachte. Der Mechanismus solle sicherstellen, dass die Abgeschobenen nach ihrer Ankunft in Afghanistan menschenwürdig behandelt werden. Die Taliban sollten gewährleisten, dass die Männer nach ihrer Rückkehr nicht beispielsweise hingerichtet oder gefoltert werden. Die Lebensumstände nach Abschluss der Repatriierung werden daher längere Zeit beobachtet.
Statt 96 nur 81 Abschiebekandidaten
Dass von den ursprünglich 96 Abschiebekandidaten im letzten Moment nur 81 ins Flugzeug stiegen, ging ebenfalls auf katarische Intervention zurück. Jene Männer, die Familienangehörige in Deutschland haben, sollten nicht von ihrer Familie getrennt werden.
Die Maschine der Qatar Airways war bereits am Donnerstag Nachmittag in Leipzig angekommen. Nach Informationen von diplo.news befanden sich keine Vertreter Afghanistans an Bord, jedoch 49 Mann einer bewaffneten katarischen Spezialeinheit, die beim Rückflug für Sicherheit sorgen sollte. Da sie den deutschen Boden nicht mit Waffen betreten durften, war mit der Bundespolizei vereinbart worden, die Waffen auf den Sitzen im Flugzeug zu deponieren. Von Seiten der Bundespolizei begleiteten mehr als 250 Beamte die Aktion am Flughafen.
Die Männer wussten nichts
Die Straftäter wurden über Nacht aus mehreren Bundesländern zum Flughafen Leipzig gebracht. Unter ihnen waren keine Frauen und keine Minderjährigen. Bei der Abholung wussten die Männer nicht, dass die Fahrt zum Flughafen geht und die Abschiebung bevorstand.
Vor dem Besteigen des Flugzeugs wurde auf Verlangen von Kabul jeder Einzelne per Video ausführlich Interviewt. Damit wollte die afghanische Seite absolut sicherstellen, dass die Identität der Männer mit den Angaben auf den Listen übereinstimmt. Viele besaßen nämlich keine Reisepass. In Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, wurde die Männer fast wie Helden empfangen.
Die Vorbereitungen zwischen den drei involvierten Staaten liefen über viele Wochen. Trotzdem gelang es, die Pläne geheimzuhalten. Datum und Uhrzeit des Abflugs waren bis zuletzt unbekannt. Damit sollte verhindert werden, dass Aktivisten von NGOs oder kirchlichen Gruppen den Flughafen Leipzig mit Protestaktionen blockieren würden.
ekö