Von Michael Backfisch
So viel Optimismus über ein mögliches Ende des Ukraine-Krieges hat es lange nicht gegeben. Die freundlichen Bilder vom amerikanisch-europäischen Gipfel in Washington gingen um die Welt. US-Präsident Donald Trump gab sich aufgeräumt. Er legte dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selensky die Hand auf die Schulter und tätschelte ihn. Die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen von EU und Nato schütteten eine Welle der Dankbarkeit und Schmeichelei über Trump aus, die dieser mit huldvollem Lächeln quittierte. Eine Kette von Trump-Verstehern, ein Gipfel der Harmonie.
„Das war das beste unserer Treffen“, pries Selensky sein Gespräch mit Trump. Auch Bundeskanzler Friedrich Merz blies die Fanfare der Hoffnung: „Meine Erwartungen sind eigentlich nicht nur getroffen, sondern übertroffen worden.“ Man hatte den Eindruck, der Mantel der Geschichte sei durch das Weiße Haus geweht. Trump beförderte diese Wahrnehmung, indem er prompt das Narrativ verbreitete, es gebe eine neue diplomatische Dynamik im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Als Beweis hierfür präsentierte er die Zusage des russischen Präsidenten Wladimir Putin, erst einen Zweiergipfel mit Selensky und dann einen Dreiergipfel mit Trump abzuhalten. Es sollen Eckpunkte einer „Mission Friedensvereinbarung“ à la Trump sein.
Doch Vorsicht! Der US-Präsident kommt aus der Welt des TV-Entertainments: Er vertraut auf die Wirkmacht von Bildern; Fakten und Details sind ihm ein Graus. Zudem ist Trump ein Meister der Selbst-Inszenierung. Er sieht sich als großer Weltenlenker, der Kriege beenden kann. Und er hegt den kindischen Traum, den Friedensnobelpreis zu bekommen. Das Problem ist jedoch, dass trotz der Gipfel in Alaska und Washington entscheidende Fragen nicht gelöst sind. Daher ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich Trumps Vision einer Befriedung des Ukraine-Krieges als Illusionsgemälde entpuppt, das wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Schon der von Trump mit großem Tamtam verkündete Gipfel zwischen Putin und Selensyj wackelt. Laut Presseberichten hat der Kremlchef im Telefonat mit Trump als Ort des Treffens Moskau vorgeschlagen. Eine Falle! Putin weiß genau, dass der ukrainische Präsident, den der russische Geheimdienst mehrmals zu töten versucht hatte, diese Offerte nicht annehmen kann. Selensky muss dies ablehnen. Putin kann ihm dann den Schwarzen Peter zuschieben und gegenüber Trump sagen: „Er will ja nicht“. Mit dem Kalkül, dass Trump den Druck auf Selensky weiter erhöht.
Hinzu kommen die Desinformations-Manöver der Nebelkerzenwerfer in Moskau. Von einem Zweiertreffen Putin – Selensky ist plötzlich nicht mehr die Rede. Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow erklärte, man „prüfe“, den Rang der Vertreter für direkte Verhandlungen mit den Ukrainern zu erhöhen. Außenminister Sergej Lawrow betonte, jede Begegnung zwischen Putin und Selensky müsse „äußerst sorgfältig vorbereitet“ werden, „Schritt für Schritt, beginnend auf Expertenebene und dann alle notwendigen Stufen durchlaufend“. Die Hinhalte-Taktik ist darauf angelegt, Selensky mürbe zu machen, bis er Putins Maximalforderungen erfüllt. Russland geht zum Schein auf Trumps Diplomatie-Szenario ein, will aber Zeit schinden. Das militärische Momentum ist auf Moskaus Seite: Jeder Quadratkilometer erobertes Gebiet verbessert die eigene Verhandlungsposition und unterhöhlt den Widerstandswillen der Ukrainer.
Der strategisch wichtigste Punkt für ein Friedensabkommen sind westliche Sicherheitsgarantien. Hier gibt es halbherzige Versprechungen, aber nichts, was Putin wirklich abschrecken würde. Die Entsendung amerikanischer Truppen in die Ukraine hat Trump ausgeschlossen. Eine US-Unterstützung aus der Luft sei möglich, fügte er hinzu. Es ist aber unklar, ob amerikanische Jets vor Ort stationiert sind oder aus der Ferne operieren. Deutschland, Frankreich und Großbritannien würden Truppen in die Ukraine schicken, kündigte der US-Präsident an. Doch auch hier hakt es gewaltig. Die Bundeswehr hat erstens Personalknappheit. Zweitens muss jedweder Einsatz in der Ukraine vom Bundestag genehmigt werden, was große innenpolitische Debatten auslösen würde. Franzosen und Briten hatten zwar die Entsendung von „Rückversicherungstruppen“ nach einem Waffenstillstand ins Spiel gebracht. Doch diese sollten weit hinter der Frontlinie stationiert werden und dürften kaum über die erforderliche Stärke verfügen.
Nach einer Analyse von Claudia Major und Aldo Kleemann, die sie für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erarbeiteten, wären etwa 150 000 westliche Soldaten notwendig, um Russland glaubwürdig abzuschrecken. „Ein ‚Bluff and Pray‘-Ansatz, der zu wenig Truppen einsetzt und im Wesentlichen auf der Hoffnung fußt, dass Russland diesen nicht testet, wäre fahrlässig und erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs in Europa“, warnen die Sicherheitsexperten. Zusätzliche Erschwernis: Die „Njet“-Spezialisten in Moskau haben diese Option bereits blockiert. Die Stationierung von Kräften aus Nato-Staaten in der Ukraine werde nicht akzeptiert und berge das Risiko einer großen Eskalation, erklärte das russische Außenministerium.
Die Frage der Gebietsabtretungen ist ein weiterer Stolperstein. Putin fordert den Rückzug der Ukraine aus dem Donbass. Die Region Luhansk haben die Russen fast komplett besetzt, die Region Donezk dagegen nur zu rund 75 Prozent. Im Gegenzug hat der Kremlchef einen Waffenstillstand in den Gebieten Saporischschja und Cherson entlang der Frontlinie angeboten. Putins Offerte sei eine „Giftpille“, betont Alexander Gabuev, Direktor der Berliner Denkfabrik Carnegie Russia Eurasia Center. Denn in der Region Donezk liegen Großstädte wie Slowjansk und Kramatorsk, die einen gut befestigten Verteidigungsgürtel bilden. Westlich von ihnen erstreckt sich offenes Steppenland. Gäbe die Ukraine Donezk auf, könnte Russland bei einem Wiederaufflammen der Kämpfe ungehindert Richtung Charkiw oder Dnipropetrowsk vorstoßen.
Mit der Forderung der Preisgabe von Donezk bringt Putin Selensky in eine unauflösbare Bredouille. Weist der Ukrainer sie zurück, riskiert er, dass sich Trump von ihm abwendet oder gar die lebenswichtigen Daten aus der Satellitenaufklärung und Geheimdienstinformationen kappt. Stimmt er zu, gerät er in schwere innenpolitische Turbulenzen, die ihn das Amt kosten könnten. Viele Ukrainer werden sich dann fragen, ob der Gebietsverzicht das Opfer von Zehntausenden Toten wert war.
Nach den Gipfeln in Alaska und Washington muss vor Euphorie gewarnt werden. Zwei Weltsichten treffen hier aufeinander: Trump ist ein Traumtänzer, der mit politischen Phantasiegemälden und Druck gegen Schwächere hantiert. Der ehemalige KGB-Offizier Putin ist ein Meister des Tarnens und Täuschens. Er hat Trumps Narzissmus durchschaut und operiert mit machiavellistischer Strategie. Die Zerstörung der souveränen Ukraine ist Teil des Projekts, das demokratische Europa aus den Angeln zu heben, zumindest deutlich zu schwächen – Cyber-Attacken, Desinformations-Kampagnen und Sabotage-Aktionen gehören dazu. Der Westen, wie wir ihn kannten, ist bereits tot. Putin ist sich sicher: Die Zeit läuft für ihn, mit einem Erfüllungsgehilfen Trump allemal.