
Einer der am häufigsten geäußerten Kritikpunkte an der deutschen Außenpolitik ist ihre mangelnde Strategiefähigkeit, die oft genug zu hastigen Reaktionen und bloßem Krisenmanagement führte. Das Kölner Beratungsunternehmens Z_punkt GmbH The Foresight Company entwickelte nun im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Zukunftsszenarien für das Jahr 2035, die als eine Art Frühwarnsystem dienen und proaktives Handeln möglich machen sollen. Ausgewählt wurden dafür die Indopazifikstaaten China, Indien, Vietnam und Indonesien sowie die fünf zentralasiatischen Länder Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Kirgistan und Turkmenistan. Strategische Vorausschau ist als Mittel ressortübergreifender Politikgestaltung explizit auch im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung genannt. Deutschland sollte angesichts einer zunehmend fragmentierten und machtpolitisch geprägten Welt auch seine Entwicklungspolitik neu bestimmen, empfehlen die Autoren der Studie.
Wertebasierte Außenpolitik müsse mit pragmatischer Interessenpolitik verbunden werden. Die politische und wirtschaftliche Entwicklung Asiens, zum Beispiel Ressourcenkonflikte oder Biodiversitätsverluste, wirkten sich unmittelbar auf die Sicherheit deutscher Lieferketten oder Klimaziele aus. Entwicklungspolitik müsse sich auch damit beschäftigen, wie die Interessen Deutschlands in disruptiven Szenarien, wie einem neuen sogenannten „Great Game“ der Groß- und Regionalmächte in Zentralasien, gewahrt bleiben könnten.

Mit dem Rückzug der USA aus der globalen Entwicklungszusammenarbeit, dem Klima- und Biodiversitätsschutz, sei, so die Verfasser, ein Machtvakuum entstanden, das andere füllen könnten. „Wer Häfen baut, Energienetze finanziert, Klimaschutz- und -adaption ermöglicht oder Datennetze kontrolliert, gestaltet nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung, sondern auch politische Bündnisse. Infrastrukturen, Klimaresilienz, digitale Souveränität sind längst zu geopolitischen Machtressourcen geworden.“
Die Szenarien, die das Consulting-Unternehmen auf der Basis von Expertenbefragungen erstellte, zeigen eine große Bandbreite möglicher Entwicklungen sowohl in Zentralasien wie im Indopazifik. In den Z5-Staaten ist demnach von kontrollierter Modernisierung durch autoritär-technokratische Regierungen mit regulierter Wirtschaft, strikten Klimavorgaben und massiven Infrastrukturinvestitionen bei wenig gesellschaftlicher Teilhabe bis hin zu „dynamischer Transformation“ alles möglich. Letztere ist gekennzeichnet durch weitreichende Reformen, Innovation, Investitionen in Bildung und erneuerbare Energien. Im Indopazifik zeigt eines der möglichen Szenarien einen rasanten Wettlauf zwischen China und Indien bei Künstlicher Intelligenz, Biotechnologie und anderen Technologien sowie der Akquirierung neuer Allianzpartner. Auf die Region üben beide Giganten dabei einen erheblichen Ressourcen- und Innovationsdruck aus.
Viele Szenarien beschreiben eine Erosion globaler Strukturen der Regierungsführung, in der die Vereinten Nationen an Einfluss verlieren, autoritär geprägte Bündnisse aber an Bedeutung gewinnen. Große multilaterale Organisationen werden zunehmend durch kleine, flexiblere, auf bestimmte Themen konzentrierte Zusammenschlüsse ersetzt.

Der Aufstieg sogenannter „Emerging anchors“, also der Treiber von wirtschaftlicher Entwicklung und Innovation wie Indien, Indonesien, Kasachstan oder Usbekistan, bietet laut Studie eine doppelte Chance: Deutschland und andere EU-Staaten hätten ein strategisches Interesse, eine möglichst breite wirtschaftliche Dynamik in der Region zu fördern und ein EU-Freihandelsabkommen abzuschließen, um die Abhängigkeiten von China und den USA zu verringern und zugleich in resiliente Lieferketten, lokale Wertschöpfung und regionale Integration zu investieren. Handels- und Klimapolitik könnten in ihrer Verknüpfung als geopolitisches Instrument dienen. „Energie- und Rohstoffpartnerschaften, etwa im Bereich von Wasserstoff oder Lithium, mit Regionen wie Zentralasien und Südostasien sind daher nicht nur ein Mittel zur Deckung des Bedarfs, sondern zugleich ein Hebel, um eigene geopolitische Interessen zu vertreten und internationale Einflussräume zu sichern, etwa um über den mittleren Korridor Handelsrouten unabhängiger von Russland aufzustellen.“
Die Szenarien, betonen die Verfasser, sind ausdrücklich nicht als Prognosen sondern als plausible, grundsätzlich denkbare aber zukunftsoffene Beschreibungen zukünftiger Entwicklungen zu verstehen. gd
Die gesamte Studie finden Sie unter diesem Link: Zukunft denken, Handeln vorbereiten - Strategische Vorausschau als Instrument wirksamer Politikgestaltung am Beispiel deutscher Entwicklungspolitik mit Asien